Heute werde ich Ihnen zu Beginn meiner Gedanken zum Volkstrauertag Ausschnitte aus vier Predigten des Mitterfelser Pfarrers Joseph Brettner vorlesen. Er war von 1920 bis 1951 Pfarrer in Mitterfels und Ehrenbürger der Gemeinde.
Es sind Traueransprachen für Gefallene aus der Gemeinde Mitterfels und für 24 namenlose Tote des „Todesmarsches“ von KZ-Häftlingen, die im Gemeindebereich von Mitterfels erschossen wurden. Die Texte wurden mir von Gerda Leiderer und Franz Biendl zur Verfügung gestellt.
Am 05.12.1944 fand der Trauergottesdienst für Willi Gürster statt.
Damals fand Pfarrer Brettner folgende Worte: ( Ich zitiere in Ausschnitten )
„ Ja, ein großes, tiefes unheilbares Weh ist über die Familie des Herrn Gastwirts Johann Gürster von Scheibelsgrub gekommen: Sie haben ihren herzensguten Sohn und Bruder Wilhelm auf den Schlachtfeldern Russlands verloren und haben nicht einmal den Trost, ihn im heimatlichen Friedhof bestatten und seinen Grabeshügel mit ihren Tränen benetzen zu können. Am 26.Juni dieses Jahres ist er im Raum von Bobruisk in einem blutigen Gegenstoß durch einen Granatvolltreffer zum Tod getroffen worden. Dort ruht sein Heldenleib im Feindesland.
Den Gürster Willi hatten alle lieb, Jung und Alt. Als daher die Nachricht eintraf, der Wirts-Willi sei in Russland gefallen, erhob sich in Scheibelsgrub und darüber hinaus ein lautes Klagen und Jammern; niemand wollte es fassen, dass auch dieser brave Jüngling nicht mehr in die Heimat zurückkehren würde.“
Am 17. April 1945, kurz vor Kriegsende musste Pfarrer Brettner die Traueransprache für Ludwig Wartner halten. Ich zitiere wieder in Ausschnitten:
Unser lieber, junger Freund, mein treues Patenkind Ludwig Wartner, ist am 04.Februar 1945 in den Straßenkämpfen zu Rybnik in Polen durch feindlichen Kopfschuss den Heldentod gestorben. Es trauern seine Kameraden; es weinen seine Lieben in der Heimat- und seine 3 Brüder, die in Ost und West und Nord im Einsatz stehen, ahnen gar nicht, dass Ludwig so bald seiner Mutter im Tod folgen musste.
Scheibelsgrub war seine Heimat gewesen. Als er am 02. Oktober 1941 zu den Fahnen gerufen wurde, folgte er seinen drei Brüdern, die bereits an der Front standen. Am 24. August 1942 wurde er in Russland verschüttet und durch Granatsplitter verletzt. Am 07. Januar 1944 wurde ihm dann, ebenfalls in Russland, die Hauptschlagader im linken Oberarm durchschossen. Bei den Rückzugskämpfen in Südfrankreich erlitt er am 02. September 1944 eine größere Verwundung am Oberschenkel.
Die dritte Traueransprache hielt Pfarrer Brettner am 17. Mai 1945, wenige Tage nach Kriegsende. Wieder zitiere ich Ausschnitte:
„Eine überaus traurige Pflicht haben wir soeben erfüllt: wir haben 24 Opfern unmenschlicher Grausamkeit und teuflischer Bosheit eine Ruhestätte in unserem Friedhof gegeben. Wir wissen nicht, welchem Stande, welchem Lande sie im Leben angehört haben. Als „Namenlose“ sind sie aus dem Konzentrationslager Flossenbürg bis hierher verschleppt worden.
Nach unsagbaren Entbehrungen und Strapazen sind sie im Raum der Gemeinde Mitterfels kraftlos zusammengebrochen. Dann sind sie meuchlings niedergeschlagen und niedergeknallt worden, einer um den anderen. Und das eingeschüchterte, geknechtete Volk, das innigstes Mitleid mit diesen Ärmsten der Armen hatte, durfte ihnen auf ihrem Weg zum Sterben keine Krume Brot reichen; es war ja für sie nicht einmal ein Trunk aus der Jauchepfütze gestattet.
..und etwas weiter:
…Wir aber sind die Wächter an ihrem gemeinsamen Grabe; es soll uns und späteren Generationen eine Ehrensache sein, diese Grabstätte zu behüten!“
Die letzte Ansprache, aus der ich zitiere, wurde nach dem Krieg am 26. März 1946 gehalten:
„Fast ein Jahr ist vergangen, seitdem der zweite Weltkrieg beendet ist. Aber noch ist der Leidenskelch nicht geleert bis zur Hefe. Was wir schon lange in banger Ahnung befürchtet hatten, hat sich bewahrheitet: Auch Stabsgefreiter Georg Graf, ein Nachkomme eines seit Jahrhunderten hier bodenständigen, angesehenen Geschlechts, Familienvater von 3 Kindern, ist auf dem Feld der Ehre geblieben.
In der Reihe unserer Mitterfelser Helden steht sein Name an 33. Stelle.
…….
Bereits im Jahre 1938, nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, wurde er zur Fahne gerufen. Volle 8 Jahre stand er im militärischen Dienst. 5-mal wurde er verwundet. Die fünfte Verwundung erlitt Stabsgefreiter Georg Graf am 28. Juli 1944 in den Karpathen. Von einem Feldlazarett in Rumänien schrieb er den letzten Brief an seine Frau.
Am 24. August. geriet dieses Lazarett in russische Hände. Er wurde mit seinen Kameraden nach Bessarabien verschleppt. Dort erkrankte er an der Ruhr. Es gesellte sich ein schweres Asthmaleiden hinzu – und schließlich verelendete er in Ackermann in einem Keller, der als Lazarett diente, am 19.Dezember 1944.“
Und heute, 2015, 70 Jahre später?
Manche Formulierung oder Wortwahl in den Ansprachen ist uns fremd geworden. Der Begriff des „Helden“ hat bei den meisten Menschen inzwischen einen anderen Klang und eine andere Bedeutung erfahren. Was uns aber heute sicher noch ergreift ist das Leid und die Trauer der Angehörigen,aber auch der gesamten Mitterfelser Gemeinde, die in diesen Kriegsjahren zusammenstand und so den Angehörigen Halt und Hilfe gab.
Diese Angehörigen sitzen heute noch hier unter uns. Für sie bleibt der Volkstrauertag ein Tag der persönlichen Betroffenheit. Und wir anderen?
Hat uns der Wohlstand, der so lange Abstand von 70 Jahren und eine jahrzehntelange Friedensepoche taub gemacht für das Erinnern an diese dunkle Zeit? Dadurch scheint der Volkstrauertag zu einem eher „beiläufigen“, routiniert ablaufenden Gedenktag ohne echte innere Anteilnahme und mit immer weniger Teilnehmern geworden zu sein.
Der spanische Dichter George Santayana hat gesagt: „Wer sich an seine Vergangenheit nicht erinnern will, der ist dazu verdammt, sie wieder durchleben zu müssen!“
Viele Krisen in der Welt sind uns in den letzten Monaten im wahrsten Sinn des Wortes sehr dicht auf den Leib gerückt:
- Keiner weiß scheinbar so genau, wie der Bürgerkrieg in Syrien beendet werden kann.
- Keiner weiß scheinbar so genau, wie man den Terror des IS stoppen kann, wie die Anschlagsserie am Freitag dieser Woche in PARIS uns schrecklich vor Augen geführt hat. Wir trauern heute auch um diese Opfer von Gewalt und Willkür.
- Keiner weiß scheinbar so genau, wie man die Flüchtlingszuwanderung aus vielen Krisen- und Armutsländern nach Europa aufhalten kann. Für die Weltgemeinschaft scheint mit der Globalisierung eine neue Ära zu beginnen: die “ Ära der grenzenlosen Probleme“!
Je enger wir weltweit miteinander verbunden sind, kommunikativ, ökonomisch wie technologisch, desto mehr werden sich auch die Probleme der Welt mit unseren nationalen Problemen verschränken.
Und wir Deutschen in der Mitte Europas spüren, dass wir uns aus all diesen Konflikten nicht mehr heraushalten können, sondern engagieren müssen: politisch, wirtschaftlich, humanitär, ja eventuell sogar militärisch!
Vor 70 Jahren, am Ende des zweiten Weltkriegs waren wir Deutschen zunächst aus der Weltgemeinschaft ausgestoßen und als Täter und Verbrecher geächtet.
Heute sind wir als gefestigte Demokratie und als einer der reichsten Staaten auf der Welt in der Mitte Europas zur Hoffnung für Millionen Flüchtlinge geworden. Sie kommen nicht als Eroberer oder Besatzer zu uns, und auch nicht als Terroristen. Sondern sie suchen Schutz und Hilfe und vielleicht auch nur ein besseres Leben.
Und trotzdem wächst in Deutschland die Angst vor diesen Menschen!! Warum nur ? Auch hier, denke ich, kann der Volkstrauertag Antworten geben.
Nach der unvorstellbaren Katastrophe des zweiten Weltkriegs,
- mit einem Land in Trümmern,
- mit Millionen Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten,
- mit Kriegsschulden in unvorstellbarer Höhe ,
- mit der Verachtung und den Vorwürfen unserer Nachbarländer konfrontiert,
- mit der Teilung unseres Landes geschlagen,
- mit dem Verlust der Ostgebiete bestraft,
prägte nicht Verzagtheit und Mutlosigkeit die Menschen. Die Deutschen standen zusammen, packten an und machten sich an den moralischen und materiellen Wiederaufbau ihres Landes. Ohne dabei zu vergessen, was geschehen war.
Angst vor der Zukunft verhindert ihre Gestaltung! So wie heute hier in Mitterfels beherzte Bürger in der Flüchtlingshilfe nicht lange diskutieren und grundsätzliche Gefahren beschwören, sondern anpacken und helfen.
Ich darf hier meinen persönlichen Respekt für diese Haltung ausdrücken. Sie, die Helfer, leben vor, was in unserem Grundgesetz, Artikel 1, steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Und sie geben den Menschen ihre Würde zurück.
Unsere deutsche Geschichte kann ein gewaltiges Frühwarnsystem für die Zukunft sein. Wir müssen nur lernen, es noch besser zu nutzen. Die wesentlichste Vorrausetzung dafür ist „ die Erinnerung“! Deshalb darf ich an dieser Stelle der Krieger- und Soldatenkameradschaft in Mitterfels, mit ihrem Vorstand Konrad Feldmeier einmal herzlich Dank sagen.
Denn durch die Erinnerung am Volkstrauertag und am Kriegerdenkmal, das liebevoll über das ganze Jahr gepflegt wird, bringen sie die Achtung vor den Toten zum Ausdruck. Und ich danke allen, die heute am Volkstrauertag hier versammelt sind. Dieses gemeinsame Erinnern und Gedenken fragt nicht nach Schuld!
Daher kann der jährliche Volkstrauertag auch für jüngere Menschen ohne persönlichen Bezug zu den Opfern
- ein Moment des historischen Gedenkens,
- der besinnenden Erinnerung und
- der verantwortungsvollen Mahnung sein.
Dazu bedarf es aber auch der Anleitung und Hinführung durch die Eltern und Großeltern. Wenn wir uns heute, am Volkstrauertag, an die Verstorbenen, deren Namen gleich verlesen werden, erinnern, dann halten wir sie in unserem Gedächtnis lebendig.
Und wenn die Gefallenen heute auf „Ihr“ Mitterfels schauen könnten, nach dem sie solches Heimweh in der Ferne hatten, wären sie stolz. Sie, die Opfer von Krieg und Gewalt in finsterer Zeit, wurden nicht vergessen und Mitterfels , in Frieden erblüht zeigt heute gegenüber Schwachen und Verfolgten in einer Notsituation Mitgefühl und Nächstenliebe.
Schließen möchte ich heute mit einer kleinen Geschichte von William Ashbume:
Als ein alter Mann bei Sonnenuntergang am Strand entlang geht, sieht er vor sich einen jungen Mann, der Seesterne aufhebt und ins Meer wirft. Er holt ihn ein und fragt ihn, warum er das tue. Die Antwort ist, dass die gestrandeten Seesterne sterben würden, wenn sie bis Sonnenaufgang hier liegen bleiben.
„Aber der Strand ist viele, viele Kilometer lang und hier liegen tausende Seesterne.“ erwidert der Alte. „Was macht es also für einen Unterschied, wenn Du Dich abmühst?“
Der junge Mann blickt auf den Seestern in seiner Hand und wirft ihn in die rettenden Wellen. Dann sagt er: „Für diesen hier macht es einen Unterschied!“