Beginn der Vortragsreihe zum 15-jährigen Bestehen des Arbeitskreises Heimatgeschichte, die zugleich als ein Beitrag zum Jubiläum "200 Jahre Pfarrei Mitterfels" gedacht ist, hatte man als Referenten den Archivpfleger und kommissarischen Leiter der Stadtbibliothek Straubing, Georg Fisch, eingeladen. Die Besucher wurden umfassend über die Situation auf dem Lande zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Königreich Bayern informiert und erhielten Einblicke in das Arbeitsleben, die Wohnverhältnisse, die Ernährung und Gebräuche dieser Zeit.
Landgericht Mitterfels
Das Gebiet um Mitterfels gehörte durch die Verwaltungsreform Montgelas zunächst zum Regenkreis und ab 1810 zum Unterdonaukreis mit der Hauptstadt Passau. Nach Abschluss der Gemeindebildung 1821 umfasste das Gebiet des Landgerichts Mitterfels, das von Falkenstein im Nordosten bis vor die Tore Deggendorfs im Südosten reichte, 75 Gemeinden, darunter 23 patrimonialgerichtische Gemeinden. Die ausgeprägte Streusiedlung mit über 1000 Ortschaften und die damaligen Verkehrsverhältnisse erschwerten die Arbeit der Mitterfelser Behörden erheblich.
Nach der Trennung von Justiz und Verwaltung im Jahre 1862 entstand aus den Landgerichten Mitterfels und Bogen das Bezirksamt Bogen, Vorläufer des späteren Landkreises Bogen.
Abbruch der Kirche
In dieser Zeit vor 200 Jahren wurden die Gemeinden aus den ehemaligen Steuerdistrikten gebildet und die Pfarreien als Folge der Säkularisation umorganisiert. Diese Aufgaben oblagen in Mitterfels dem Landrichter Karl Anton Märkl. Der Steuerkataster mache deutlich, so Georg Fisch, wie geschäftstüchtig in eigener Sache und skrupellos der Landrichter gewesen sei. 1805 habe er mehrere Grundstücke aus dem Besitz des ehemaligen Pfleggerichts erworben und die Kirche St. Margarete der ehemaligen Klosterpfarrei Kreuzkirchen durch einen Strohmann auf Abbruch gekauft. Auf dem höchsten und schönsten Punkt von Mitterfels ließ er sich aus dem Material sein "Schlößl", das heutige Baumeisterhaus, bauen und habe dabei den Altarstein als Bodenplatte und den Taufstein als Brunnentrog benutzt
Schule in der Hien-Sölde
Mit dem Verlegen der Pfarrkirche nach Mitterfels und der neu konzipierten Pfarrei musste auch die Schule verlegt werden. Bis 1831 war sie in der Hien-Sölde untergebracht, "einem Taglöhnerhäuschen zu ebener Erde, einer Höhle ähnlich, ohne Licht und kaum vor Nässe geschützt", schreibt Pfarrer Anton Kolbeck im Jahre 1809. Mitterfels bekam erst im Jahre 1831 ein neues Schulhaus gleich neben der Pfarrkirche St. Georg und dem 1824 neu erbauten Pfarrhof. Die seit 1802 bestehende allgemeine Schulpflicht ließ sich nur schwer durchsetzen. So seien noch im Sommerhalbjahr 1830 ein Drittel der Schüler nicht in die Schule geschickt worden. sie mussten in der Landwirtschaft helfen. konnte Fisch aus den lückenlosen Aufzeichnungen von 1830-1868 in Oberalteich ermitteln. Selbst die konsequente Erhebung der Strafgebühren für Schulversäumnisse sei kein Allheilmittel gewesen. denn die fällige Strafe habe wegen der großen Armut und hohen Kinderzahl oft nicht eingetrieben werden können. Im Vergleich zum aufgeklärten Bildungsstreben war der pädagogische Auftrag sehr bescheiden.
"Die Volksschule soll keine Vielwisser, sondern gute Christen und brauchbare Hausväter hervorbringen", heißt es in einem Aktenvermerk Ludwig I. Neben Schönschreiben, Tafelschreiben, Tafelrechnen und Kopfrechnen waren Katechismus und Biblische Geschichte von großer Wichtigkeit.
Armenpflege
Neben der Seelsorge war die Schulaufsicht eine zentrale Aufgabe des Ortsgeistlichen. denn bis 1918 war der Pfarrer auch Lokalschulinspektor. Zu den Aufgaben des Schullehrers gehörte selbstverständlich auch der Mesnerdienst. Das Lehrergehalt betrug 500 Gulden (fl.) im Jahr. Im Vergleich zu den Einkünften des Pfarrers (1.200 fl.) gehörte der Dorfschullehrer durchaus nicht zu den Besserverdienenden. Ein armer Tropf sei der Schulgehilfe gewesen, der bei freier Kost und Logis mit 120 fl. auskommen musste. Hier passte das Lied vom "Armen Dorfschulmeisterlein" des Lehrer-Dreigesangs besonders gut.
Nach den Leiden der Napoleonkriege kam es in den Jahren 1816/17 durch Wetterunbilden zu großer Nahrungsmittelknappheit und einer horrenden Erhöhung der Getreidepreise. Ein Scheffel Weizen (222 l) stieg von 15 fl. auf 80 fl. Minister Montgelas hatte es versäumt, aus dem Ausland Getreide zuzukaufen, was u. a. auch zu seinem Sturz führte.
Wesentlich für die soziale Sicherung war das "Heimatrecht". Dieses hatte man in einer Gemeinde durch Geburt, Eheschließung oder Ansässigmachung. Man konnte es aber nur erwerben. wenn man in der Gemeinde einen Besitz nachweisen konnte, ein Gewerbe ausübte und direkte Steuern bezahlte. Dienstboten, Gewerbegehilfen und Haussöhne, die im Brot des Dienstherrn oder des Familienhauptes standen und keine eigene Wohnung hatten, blieben ausgeschlossen. Grund für diese restriktive Haltung war. dass die Gemeinde verpflichtet war, bei späterer Erwerbslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit die Armenpflege zu übernehmen.
Als Beispiel für die missliche Lage eines Gemeindearmen nannte Fisch das Beispiel des ledigen 78-jährigen asthmakranken Maurers Johann Kienberger aus Großlintach. Er bittet um die Auszahlung eines Kostgeldes in Höhe von 20 Pfennig, da er nicht mehr in der Lage sei, an der "Turnuskost" teilzunehmen. Turnuskost bedeutete, bei den ortsansässigen Bauern reihum ein kärgliches Mittagsmahl einzunehmen. Das Gesuch wurde bewilligt, der Betrag allerdings vom Armenpflegerat auf 10 Pfennig reduziert.
Stuben schwarz
Genaue Kenntnisse über die Lebensverhältnisse im Landgericht Mitterfels aus der Mitte des 19. Jahrhunderts haben wir aus den "Physikatsberichten" des Gerichtsarztes Dr. Josef Albrecht. Der Gerichtsarzt lobt den Fleiß der Einwohner, doch der karge Boden könne die Wäldler oft kaum ernähren.
Drastisch schildert der Gerichtsarzt die mangelnde Hygiene in den Waldlerhäusern. In den "altersgrauen, wurmzernagten Blockhäusern" herrsche in "Stuben und Schlafkammern oft großartigste Unreinlichkeit. Bei der Einrichtung des Futterkochens für das Vieh selbst im Sommer sind die Stuben stets ewigem Dampfe, Rauche, Ruß ausgesetzt, und bleiben gar vielfach in diesem Zustande - schwarz wie Köhlerhütten und Zyklopenhöhlen... Nebenkammern für Mann, Weib und kleine Kinder, worin zugleich Milch, Schmalz, Eier, Fleisch, Mehl, Obst etc. nebst allerlei Gerätschaften untergebracht werden".
Hauptnahrung Kartoffeln
"Die Kartoffel ist die Nationalspeise des Waldlers", so der Gerichtsarzt. Früh, mittags und abends gäbe es sie in verschiedenen Zuständen, meist aber als "Erdäpfelzwirl". "Ein generelles Milchpräparat ist die saure Suppe aus alter vorjähriger gestockter Herbstmilch mit Roggenmehl angerichtet. Fleisch komme nur an den Festtagen wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Kirchweih auf den Tisch. Wasser und saure Milch ist zur Arbeit beinahe das ausschließliche Getränk, für Bauer und Gesinde, Bier nur an Feiertagen und für jene, die es vermögen." Das einzige Genussmittel sei das Schnupfen von Brasiltabak, das Tabakglas begleite den Waldler vom reifen Knaben bis zum Greisenalter.
Besonders schwer hatten es die Frauen. Neben der schweren Arbeit. die kaum Zeit für die Betreuung der Kinder ließ, war die Zeit der Geburt besonders schlimm. "Im Geburtsbett, oft auf seit Jahren nicht erneuertem Strohsack in gebrechlicher Bettstelle oder am Boden liegend", lasse man der Gebärenden mit Rücksicht auf die ökonomische Notlage oft nicht die dringend notwendige ärztliche Hilfe zukommen.
Bevölkerungswachstum
Neben der hohen Säuglingssterblichkeit sei seit der beginnenden Industrialisierung und der Bau der Eisenbahnen ab 1870 die Abwanderung in die Städte der Hauptgrund für das geringe Wachstum der Landbevölkerung gewesen, so Fisch. Während die Bevölkerung z. B. in München von 1870 - 1890 sich vervielfacht habe, sei die Einwohnerzahl von Mitterfels von 1840 - 1900 kaum gestiegen. Die Auswanderung sei eine Möglichkeit zur Verbesserung der Lebenslage gewesen. In zwei Auswanderungswellen um die Jahrhun-dertwende zog es ganz Mutige sogar bis ins ferne Amerika.
Bei dieser sozialen Lage des größten Teils derLandbevölkerung könne man nicht verstehen, wie sich später der Mythos von der "guten alten Zeit" entwickeln konnte, so der Referent zum Schluss.
Alois Bernkopf, Straubinger Tagblatt 20.5.2009