Volkstrauertag 2023 - Ansprache Oberst a.D. Henner Wehn
„Fehler der Vergangenheit dürfen sich nicht wiederholen“, mahnte Bürgermeister Andreas Liebl bei der Feier am Kriegerdenkmal. Foto: Elisabeth Röhn

Volkstrauertag 2023 - Ansprache Oberst a.D. Henner Wehn

Volkstrauertag 2023  (19. November , Ansprache von Oberst a.D. Henner Wehn in der Kirche)

Wir haben uns, wie jedes Jahr, wieder zum Volkstrauertag versammelt.

Danke für Ihre Treue.

Es ist ein „Stiller Gedenktag.“, kein gesetzlicher Feiertag.

Aber hat er noch Bedeutung für uns in diesen aufgewühlten Zeiten?

Ist der Name „Volkstrauertag“ überhaupt noch angebracht?

1952, vor 71 Jahren,  vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge wieder neu gegründet, sollte er bei uns in Deutschland an die Millionen Toten beider Weltkriege erinnern.

Der 2. Weltkrieg Krieg war zu diesem Zeitpunkt seit 7 Jahren zu Ende.

aber Europa lag  immer noch in Trümmern und ein echter dauerhafter Friede schien weit entfernt.

Zwischen der Sowjetunion, weiterhin von Stalin beherrscht, und dem Westen zog sich durch Europa der „Eiserne Vorhang“ und ein so genannter „Kalter Krieg“ zwischen West und Ost bestimmte die Außenpolitik  dieser Zeit.

Als Folge des 2. Weltkriegs gab es in Deutschland neben den Millionen von Toten noch eine Unzahl von Vermissten, deren Schicksal noch völlig offen war.

Viele Menschen hatten ihre Heimat durch Flucht und Vertreibung verloren.

Viele Männer litten in der Sowjetunion noch in der Kriegsgefangenschaft, und ihre Heimkehr schien ungewiss.

Manche wurden erst 1956 entlassen.

Die Menschen in Deutschland trauerten daher am Volkstrauertag in den fünfziger Jahren  noch heftig und echt.

Diese Trauer war in fast allen Familien stark und gegenwärtig, denn fast jede Familie war durch den Krieg mit Tod und Vertreibung in Berührung gekommen.

 So bot in den fünfziger und sechziger Jahren der Volkstrauertag die Gelegenheit der gemeinsamen Trauer und des gegenseitigen Trostes.

In den sechziger Jahren war ich als junger Soldat  an der Gestaltung des Volkstrauertages beteiligt

Ich erinnere mich noch sehr gut

- an die Tränen der Mütter und Frauen, die Ihre Söhne, Männer und Brüder verloren hatten

- an den erkennbaren Schmerz in den Gesichtern der Flüchtlinge, die fürchteten ihre geliebte Heimat nie mehr wiederzusehen.

Das deutsche Volk war in Trauer vereint und trauerte gemeinsam.

Volkstrauertag“ war ein zutreffender Begriff.

Das änderte sich in den siebziger Jahren.

Der Wohlstand wuchs und der Frieden in Europa schien stabil zu sein. An den Ost-West-Konflikt hatten sich alle gewöhnt.

Die NATO, und die darin eingebundene ,unter Widerständen ,neu gegründete Bundeswehr, schienen Sicherheit und Abwehrbereitschaft trotz des Kalten Krieges zu garantieren.

Die Mehrheit der Deutschen schien sich bis in die achtziger Jahre sicher: Der Frieden ist Alltag geworden!

Jedenfalls in Europa werden wir keinen Krieg mehr erleben, und die Bundeswehr brauchen wir eigentlich dafür auch nicht mehr!

 

Überraschend änderte sich in den späten achtziger Jahren alles!

Mit dem der Zusammenbruch der Sowjetunion kam 1989 auch noch die unerwartete deutschen Wiedervereinigung.

Die ungeliebte Wehrpflicht wurde abgeschafft.

Mit großem Staunen erlebte ich als Soldat seit der Wiedervereinigung eine zunehmende Abkehr von der Bundeswehr.

Eine Mehrheit der Bevölkerung lehnte das viele Geld für die Bundeswehr und die damit verbundene Rüstung ab.

Wozu also noch Wehrpflicht und so viel Geld für Militär und Rüstung ausgeben.

Und mit unserem jährlichen Volkstrauertag konnten vor allem jüngere Menschen nichts mehr anfangen.

Bei einer Befragung durch mich, vor etwa 6 Jahren, war dieser „stille Feiertag“ für die große Mehrheit der Schüler eines Gymnasiums unbekannt und bedeutungslos geworden.

Dann aber, im Februar 2022, wurde auf Befehl des russischen Präsidenten Putin, die Ukraine von der russischen Armee überfallen.

Unvorstellbar!

Der Krieg war zurück in Europa!

Seitdem müssen wir wieder täglich Bilder ertragen, von denen wir gehofft hatten, sie auf unserem Kontinent nie mehr zu sehen!

Mütter, die ihre Söhne  und Frauen, die ihre Männer und Väter der Kinder in den Krieg verabschieden, ohne zu wissen, ob sie sich jemals wiedersehen.

Weinende Flüchtlingskinder, die ihre Heimat verloren haben.

Ukrainische Flüchtlinge, überall in Deutschland.

Wir liefern Waffen an dieses Land und bilden ukrainische Soldaten aus, die den Kampf gegen das riesige Russland nicht aufgeben wollen.

Worin begründet sich dieser für uns nicht recht fassbare Widerstandswille?

Täglich sterben zivile Menschen durch Raketen und Luftangriffe, fallen im Gefecht hunderte Soldatinnen und Soldaten.

Vom Schreck, ja Schock in den ersten Wochen ist dieser Krieg in der Ukraine zum deutschen Alltag in den Medien geworden.

Inzwischen ist sogar eine gewisse Kriegsmüdigkeit festzustellen.

Über eine Million Flüchtlinge haben wir aufgenommen.

Und niemand weiß, wie und wann dieser Krieg beendet werden kann.

Im Gegenteil.

Die Bedrohung durch Russland hat sich an der NATO-Ostflanke zur realen Gefahr eines Krieges entwickelt.

Nach Aussage des Verteidigungsministers Pistorius soll die Bundeswehr nach über 30 Jahren Abrüstung wieder zu einer abwehrbereiten Armee aufgebaut werden.

Das wird sehr lange dauern und viel Geld kosten.

Außer dem russischen Präsidenten Putin weiß trotzdem keiner, wie und wann dieser KRIEG in der Ukraine beendet werden kann.

Und dann,  als ob der Ukrainekrieg nicht schon genug wäre, ein weiterer Kriegsschauplatz:

Am 07. Oktober dieses Jahres überfielen Terroristen der HAMAS  aus dem Gaza heraus ISRAEL.

Sie töteten über1400 israelische Zivilisten und nahmen über 200 Geiseln, die sie verschleppten.

ISRAEL führt seitdem einen fürchterlichen Krieg um seine Existenz und kämpft mit aller Härte im palästinensischen GAZA-Streifen.

Ein Ende ist auch hier nicht absehbar.

Wie ist es mit dem Frieden bestellt, wenn wir jetzt nach innen, nach Deutschland, schauen?

Hier herrscht innenpolitisch zurzeit kein echter Frieden!

In den Nachrichten beobachten wir bei Demonstrationen auf den Straßen immer mehr Hass und Gewalt.

Unsere Gesellschaft zerfällt in Gruppen, die sich feindlich gegenüberzustehen scheinen.

In den Medien kann man in Diskussionen mit ansehen, wie Persönlichkeiten beleidigt und andere Meinungen verunglimpft werden.

Die Kluft zwischen den Menschen scheint größer zu werden.

Offener Hass und Verunglimpfungen zwischen Muslimen Juden und auch Christen wird erlebbar.

Dazu noch der Klimawandel, der das Leben von uns allen zu verändern droht.

Wie soll das nur in den nächsten Jahren weitergehen?

Der in den vielen Ansprachen formulierte Appell:

persönlich friedfertig zu bleiben, hilft da natürlich auch nicht.

Aber es gibt am Volkstrauertag auch noch positive Aspekte!

Bei aller aktueller Sorge um die politische Entwicklung und das schwindende Interesse am Volkstrauertag ist das  bei uns hier in MITTERFELS die dauernde Pflege der Kriegsdenkmäler und unser jährliches Gedenken an die Toten der Weltkriege, deren Namen wir gleich wieder hören werden.

Dieses Gedenken ist auch eine Mahnung!

Die Toten,- der vergangenen wie der aktuellen Kriege, zeigen uns, wie fragil der europäische und der weltweite Frieden wirklich ist,

und wie wichtig es ist, sich aktiv gemeinsam für den Frieden zu engagieren,

Vorurteile abzubauen und freiheitliche und menschenwürdige Lebensbedingungen dort zu erkämpfen, wo es sie nicht gibt, und dort zu verteidigen, wo sie angegriffen werden.

Alle sehnen wir uns aktuell nach dem Frieden der vergangenen Jahre zurück!

Wie könnten wir ihn wieder schaffen?

Im 6. Jahrhundert vor Christi hat der chinesische Philosoph  LAOTSE dazu folgende Gedanken formuliert:

Damit es Frieden in der Welt gibt,

müssen die Völker in Frieden leben.

Damit es Frieden zwischen den Völkern gibt,

dürfen sich die Städte nicht gegeneinander erheben.

 

Damit es Frieden in den Städten gibt,

müssen sich die Nachbarn verstehen.

Damit es Frieden zwischen den Nachbarn gibt,

muss im eigenen Haus Frieden herrschen.

Damit im eigenen Haus Frieden herrscht,

muss man ihn im eigenen Herzen finden.“

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