Der Volkstrauertag soll uns an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltbereitschaft und Gewaltherrschaft aller Nationen erinnern.
Die erste Ansprache dazu durfte ich 2005 in unserer Kirche halten.
Es war eine große Ehre für mich.
Seit 16 Jahren hat sich daran nichts geändert.
Mein Dank hierfür gilt Pater Dominik und dem Vorsitzenden der Krieger- und Soldatenkameradschaft in Mitterfels, Konrad Feldmeier.
Aber auch Ihnen allen, darf ich Dank sagen, die schon so viele Jahre lang an diesem Tag in den Gottesdienst kommen und damit den Gefallenen der Gemeinde Mitterfels ein ehrendes Gedenken erweisen.
Ein beeindruckendes Zeichen , dass noch heute 76 Jahre nach Kriegsende an diesem Tag den damals gefallenen Soldaten mit einer namentliche Nennung gedacht wird.
In meinen Ansprachen habe ich mich immer zwei Hauptthemen zugewandt:
- Dem ehrenden Gedenken der gefallenen Mitterfelser Soldaten - und einer eindringliche Mahnung für den Erhalt des Friedens.
Denn auch der uns in Deutschland inzwischen so vertraute Frieden muss über die vielen Jahre ständig gepflegt und gefestigt werden.
Die jüngeren Generationen kennen seit 1945 nur Frieden in Deutschland.
Und doch gehört Frieden leider nicht zur Selbstverständlichkeit der Menschen in der Welt.
Immanuel Kant drückt das folgendermaßen aus:
„ Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturzustand, der vielmehr ein Zustand des Krieges ist.
Frieden muss gestiftet werden.“
Wie stiftet und erhält man Frieden?
1956 relativ kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs herrschte in Europa der „kalte Krieg“ zwischen West und Ost.
Ein neuer Weltkrieg schien nicht ausgeschlossen!
Zum Friedensschutz wurde die Bundeswehr , erstmals in der deutschen Geschichte eine Parlamentsarmee, gegründet.
Die Wehrpflicht wurde eingeführt.
Sie sollte neben der wieder aufwachsenden Wirtschaft den Frieden sichern.
Es war eine in der damaligen Nachkriegsgesellschaft heiß umstrittene Entscheidung.
Doch es funktionierte.
Bis 1999 , immerhin 43 Jahre, gab es für die Bundesrepublik keine ernsthaften militärischen Bedrohungen .
Keine deutsche Soldaten mussten in Auslands-Einsätze.
Der Frieden in Deutschland schien stabil
Sogar die Wiedervereinigung gelang ohne militärische Gewalt zwischen den beiden deutschen Staaten..
Dann entschied 1999 die Regierung zum Schutz der Albaner vor den Serben am Kosovo- Krieg teilzunehmen.
Ich selbst war dort im Jahr 2000 sechs Monate im Einsatz.
Der Einsatz dauerte der deutschen Soldaten dauerte aber noch viele Jahre.
Und kurz darauf, 2001 war auf Beschluss unserer Regierung die Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz.
Auch aus meiner Pionier-Brigade wurden damals Soldaten aus Emmerich und Schleswig in diesen Einsatz geschickt.
Die Gesichter der jungen Soldaten, die ich in dieses so ferne und unbekannte Land in Marsch setzen musste ,werde ich nie vergessen.
Zunächst nahm aber kein Politiker für den Einsatz in Afghanistan das Wort „Krieg“ in den Mund.
Doch es war und wurde ein extrem brutaler und gnadenloser Krieg in diesem für uns so fernen Land am Hindukusch.
Nach 20 Jahren wurde er dieses Jahr im Juli endlich beendet.
Die Flucht von Afghanen aus Kabul mit Hilfe alliierter Militärflugzeuge haben wir wohl alle mit Schrecken im Fernsehen verfolgt.
Der Frieden in diesem fremden, weit entfernten Land war nicht gerettet.
Die Taliban übernahmen wieder die Macht von der sie 2001 von den US-Streitkräften vertrieben worden waren.
Der damalige Kanzler Gerhard Schröder sagte am 22. Dezember 2001 im Bundestag, es handele sich um ein von den Aufgaben her, vom Einsatzort her und von der Zeit her begrenztes Mandat.
„Zwanzig Jahre Frühling und Sommer und Herbst und Winter in Berlin und Kabul, in Calw und in Kundus“ sagte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier bei seiner Schlussrede zum Afghanistan-Einsatz.
Und er fügte noch hinzu:
„Zwanzig Jahre, fast eine ganze Generation!“
„Die Bundeswehr hat all das ausgeführt, was ihr die Politik aufgetragen hat. Unser Land ist stolz auf sie!“
Ob das die jüngeren Menschen in Deutschland wirklich so empfinden?
Die Wehrpflicht ist seit 2011 durch das Parlament abgeschafft.
Kurt Kister von der Süddeutschen Zeitung schreibt dazu: „
„Die Mehrheit der Deutschen sieht Militär zwar als notwendig an. Aber gleichzeitig möchten sehr viele so wenig wie möglich damit zu tun haben.
Das Militär ist nicht aus der Gesellschaft gefallen, aber es genießt auch keine Anerkennung!“
Die Zukunft der jüngeren Menschen wird von ganz anderen Sorgen bedroht.
Eine 28 jährige Frau formuliert das in der Zeitschrift „die Zeit“ folgendermaßen:
„Ich sehe in diesem Jahrhundert die Menschen vor riesigen Problemen. Dürre, Hunger, Ressourcen-Krieg, Migrationsbewegungen in der ganzen Welt!“
Dabei sind aber noch nicht mal ihre persönlichen Sorgen aufgezählt.
Trotzdem bleibt für unsere Zukunft der Erhalt des Friedens die wichtigste Herausforderung.
Daher möchte ich zum Schluss eine kleine Geschichte von Rolf Zukowski vorlesen, die mir sehr gut gefallen hat.
Zukowski lässt eine kleine Schildkröte als Botschafterin des Friedens sprechen.
Das kleine Frieden
Da saß es still und leise. In einer kleinen Ecke. Eigentlich war es hier dunkel, doch es selbst verbreitete Licht.
Es hat sich hier verkrochen, weil es einen Schutzraum suchte.
Zu viele wollten ihm an den Kragen.
Nun saß es hier in der Ecke. Abgehetzt. Unruhig. Gejagt.
Das kleine Frieden.
Gejagt von den Großen und Lauten.
Mal wieder grölten sie und stritten miteinander.
Die aggressive Wut mit der hinterhältigen Lüge.
Die unbändige Habgier mit dem lieblosen Neid.
Das schuldige Nachtragen mit dem trotzigen Stolz.
Immer wieder ging es um dieselben Themen:
Wer ist größer?
Wer hat den meisten Einfluss?
Wer kann am besten für das Wohl des einzelnen Menschen sorgen?
All dies wurde für das kleine Frieden zu viel.
Es verschwand und versteckte sich.
Es fühlte sich von ihnen gejagt.
Irgendwo auf der Flucht sah es die Zuversicht davonhoppeln.
Es kam an der Hoffnung vorbei. Sie lag reglos am Boden.
Hier in der dunklen Ecke fühlte sich das Frieden sicher.
Hier wollte es bleiben.
Bloß nicht mehr zu den anderen.
Hier war es weit weg von dem Geschrei.
Hier hatte es Ruhe.
Vor den anderen und auch vor den Menschen.
Hier konnte es sein Friedenslicht in Ruhe flackern lassen, ohne dass es jemand auspusten würde.
Hier konnte es in den weichen Boden ein kleines Peace-Zeichen malen.
Warum jagt man das Frieden?
Es war doch so klein, so zerbrechlich……, so unbedeutend???
Nein, bei diesem Gedanken musste es selbst etwas schmunzeln.
Es war zwar klein und zerbrechlich. Das bestimmt.
Aber unbedeutend?
Das war es auf keinen Fall! Ganz im Gegenteil:
Im Grunde schätzten es alle.
Im Kleinen, wie im Großen. Eigentlich wollten es alle haben.
Und vielleicht war genau das das Problem.
Alle wollten das kleine Frieden haben!
Es besitzen. Es für die eigenen Zwecke ge- und eventuell sogar missbrauchen.
Wenn zwei verschiedene Seiten das kleine Frieden für die persönlichen Interessen beanspruchten, fühlte es sich zerrissen.
Es wurde gejagt, weggedrängt und zog sich zurück.
Ein kleines Frieden auf der Flucht.
Manche sagten sogar, sie würden es irgendwo hinbringen.
Sie sagten, „wir bringen euch Frieden“. Dabei hatten sie das Frieden nicht im Gepäck, sondern politische, wirtschaftliche oder militärische Interessen.
Andere hatten das Frieden vergessen. Vermutlich war es schon zu lange bei ihnen. Man sprach von 76 Jahren gemeinsam mit dem Frieden.
Doch über die Jahre wurde es als selbstverständlich wahrgenommen und nicht mehr mit Leben gefüllt.
Es fühlte sich bei ihnen leer. Nicht mehr als eine Hülle.
Dabei wollte es doch einfach dabei sein.
Sich mit der Hoffnung freuen und mit der Versöhnung Feste feiern. Das war doch eigentlich das Ziel des Friedens.
Bei ihnen sein. Frei sein.
Es wollte nicht gejagt, erlegt oder benutzt werden.
Es wollte nicht in Vergessenheit geraten oder einfach nur hingenommen werden.
Es wollte wertgeschätzt werden. Liebevoll umsorgt.
So saß das Frieden in der Ecke.
Es begann sich umzuschauen und war überrascht.
Da waren ja noch andere.
Die Liebe und die Leidenschaft.
Das Vertrauen und das Staunen.
Die Vergebung und auch die Würde
Sie alle waren da.
Selbst die Hoffnung kam gestützt von dem Mut und der Kraft langsam auf den Frieden zu.
Da wollte das Frieden wieder raus aus der Ecke. Hin zu den anderen.
„Wir sind mehr“ sagte es sich.
Mehr als die Lauten und Großen. Wir haben mehr zu sagen. Mehr zu geben.
„Das wird mein Jahr“, sagte sich das Frieden
…..und ging los!
Hoffentlich treffen sie in ihrem Leben bald auf das kleine Frieden!
Henner Wehn