Wie jedes Jahr im November haben wir uns heute hier in der Kirche versammelt, um unserer Toten der Weltkriege und allen Opfern von Gewalt und Willkür zu gedenken.
Der Volkstrauertag hat sich nach dem 2. Weltkrieg von einem Tag der Betroffenheit und tiefen Trauer zu einem staatlich angeordneten Gedenktag, wie zum Beispiel dem „Tag der deutschen Einheit“, gewandelt.
Viele jüngere Menschen können mit diesem Gedenktag nichts mehr anfangen! Immer dieselben Abläufe , ein jahrzehntlang eingespieltes Ritual. Immer weniger Menschen nehmen teil, Jüngere sieht man kaum noch.
Und sind nicht auch schon alle Gedanken und Sätze mit der Kernbotschaft „Nie wieder Krieg“ gesagt und geschrieben worden?
Damals, 1945, nach dem sowohl materiell wie auch geistig alles verheerenden Weltkrieg waren sich alle Deutschen einig:
„Nie wieder Krieg!“
Aber wie sah die Realität aus:
Der Krieg machte noch nicht einmal eine kurze Pause. Es ging außerhalb Deutschlands einfach weiter! Auch mit Deutschen.
Aus den über 200 Folgekriegen nur ein paar Beispiele:
Von 1946 – 1954 folgte der französische Indochinakrieg, in dem viele ehemalige deutsche Soldaten als Fremdenlegionäre kämpften. Die von Peter Scholl-Latour in einem Buch geschilderte Situation hat mich in Bezug auf das „Perpetuum mobile „ des Krieges besonders beeindruckt:
Im Hafen von Alexandria begegnen sich 1946 zwei vollbesetzte französische Passagierdampfer. Auf dem einen werden deutsche Kriegsgefangene von Nordafrika nach Frankreich zur Zwangsarbeit gebracht. Auf dem anderen fahren ehemalige deutsche Soldaten, heimatlos und entwurzelt, als Fremdenlegionäre angeworben in den aufziehenden Indochinakrieg, wo die meisten in den folgenden Kämpfen umkommen werden. Als die Schiffe eng und langsam aneinander vorbeischwimmen, erklingen plötzlich auf beiden Schiffen die vertrauten deutschen Soldatenlieder aus dem gerade beendeten 2. Weltkrieg.
Von 1950- 1953 folgte dann der Korea-Krieg, in den viele Nationen verwickelt waren und erstmals die USA und China aufeinandertrafen. An seinem Ende war das Land gespalten.Und in Folge dieses Krieges herrscht noch heute in Nordkorea ein unberechenbarer Diktator, der mit dem Abschuss von Atomraketen droht.
Dann die Nahostkriege, aus denen bis heute noch kein stabiler Frieden in der Region entstanden ist. Im Gegenteil.
Und so ging es weiter! Bis heute über 200 kleinere und größere Konflikte auf allen Kontinenten, mit inzwischen Millionen Toten, mehr als der zweite Weltkrieg gefordert hat. Diese innbrünstige Beschwörung „Nie wieder Krieg!“, hat sich also außerhalb Europas nie erfüllt.
Astrid Lindgren hat das 1978 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels so formuliert: Über den Frieden sprechen, heißt über etwas sprechen, was es nicht gibt. Wahren Frieden gibt es nicht auf unserer Erde und hat es auch nie gegeben, es sei denn als Ziel, das wir offenbar nicht zu erreichen vermögen. Solange der Mensch auf dieser Erde lebt, hat er sich der Gewalt und dem Krieg verschrieben.“
Irgendwie hatten wir Deutschen uns, um ein Bild aus dem Sport aufzugreifen, mit der Verbannung auf die“ Strafbank der Nationen“ letztendlich arrangiert. Wir konnten unser Land wiederaufbauen und uns einen Wohlstand erarbeiten, um den uns bald viele Nationen beneideten.
Wer hätte am 08. Mai 1945 vorhersehen oder auch nur ahnen können, wie Deutschland 72 Jahre später aussieht:
- Wiederaufgebaut und wiedervereint,
- in der Mehrheit mit einer wohlhabenden Gesellschaft
- ein Rechtsstaat und eine stabile Demokratie.
- mit der fünftstärksten Volkswirtschaft der Welt,
Aber das hat auch seine Kehrseite. Wir dachten, wir könnten im Windschatten der Geschichte uns aus den Konflikten der Welt heraushalten. Wir wollten doch nur „Handel treiben“ und „Wohlstand mehren“.
Dann rückte auf dem Balkan auf einmal der Krieg in seiner brutalen Form wieder näher an unsere Grenzen heran. Und die Weltgemeinschaft erwartete von uns die Übernahme von Verantwortung und zerrte uns zurück in die Konflikte der Welt.
Die Bundeswehr, eigentlich nur geschaffen, um bei einem Angriff auf unser Land der vermeintlichen Bedrohung aus dem Osten standzuhalten, wurde zu einer sogenannten „Einsatzarmee“. Das bedeutet, dass sie inzwischen weltweit im Einsatz ist. Oft in Ländern, die die meisten Deutschen vorher noch nicht einmal von der Landkarte her kannten.
Nach der Aussage von führenden Politikern wird Deutschlands Sicherheit inzwischen auch am Hindukusch und in MALI verteidigt.
Über 103 getötete Soldatinnen und Soldaten ist der bisher blutige Preis für diese Einsätze. Sie werden zwar vom Parlament beschlossen, aber von der Mehrheit der Deutschen abgelehnt. Wir wollen davon einfach nichts wissen. Das verträgt sich nicht mit unserer pazifistischen Moral.
Für die Soldatinnen und Soldaten, die da weit ab von zu Hause im Einsatz stehen, ist das eine schwere zusätzliche Last. Bei allem verständlichem Wunsch in Frieden leben zu wollen, sollten wir denen, die für uns in die Konflikte der Welt geschickt werden, nicht unsere anteilnehmende Solidarität versagen. Und deshalb gilt unser heutiges Gedenken auch den toten Bundeswehrsoldatinnen und Soldaten.
Diese weltweiten Kriege entwurzelten aber auch Millionen Menschen, die als Flüchtlinge ihre Heimat verlassen oder vertrieben werden. Und unser Wohlstand, durch die modernen Medien weltweit bekannt, führt dazu, dass Deutschland inzwischen Ziel von Millionen Flüchtlingen auf der Welt geworden ist.
Nicht nur politisch Verfolgte sondern auch Menschen, die einfach nur besser leben wollen. Wer kann es ihnen verdenken.
Sind doch allein in der ersten Hälfte der 50ziger Jahre über 500 000 Menschen aus Deutschland in die USA ausgewandert, weil es hier scheinbar keine Zukunft gab.
Und heute?
Wir leben nun schon Jahrzehnte in Frieden und Wohlstand. Für die jüngere Generation ist das selbstverständlich und ein anderer Zustand als Friede gar nicht denkbar.
Trotzdem erfasst uns eine zunehmende Unruhe: Ob das so bleiben wird? Überall am Horizont Wetterleuchten und dunkle Wolken. Der Krieg rückt uns sozusagen wieder auf den Pelz:
Nicht weit von hier, in der Ostukraine, wird erbittert gekämpft.
Ebenfalls nicht weit von uns herrscht ein grausamer Bürgerkrieg in vielen Ländern des Nahen Ostens, ohne dass ein Ende absehbar ist..
Und es ist kaum zu fassen. Sogar ein Atomkrieg scheint wahrscheinlich und rückt wieder ins Bewusstsein der Menschen. Es kommt uns vor, als ob demokratisch gewählte Staatsoberhäupter und autoritäre Diktatoren wie ungezogene Kleinkinder im Sandkasten spielen und dabei das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel setzen.
Deshalb hat das Zitat aus der Rede Richard von Weizsäckers zum 40jährigen Kriegsende vor 35 Jahren immer noch eine erschreckende Aktualität:
„ Hitler hat stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaften und Hass zu schüren. Die Bitte an die jungen Menschen lautet: Lassen sie sich nicht hineintreiben in Feindschaften und Hass gegen andere Menschen,
- gegen Russen oder Amerikaner,
- gegen Juden oder gegen Türken,
- gegen Alternative oder gegen Konservative,
- gegen Schwarz oder gegen Weiß.
- Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
- Lassen Sie auch uns, als demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder beherzigen und ein Beispiel geben.
- Ehren wir die Freiheit.
- Arbeiten wir für den Frieden.
- Halten wir uns an das Recht.
- Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.
- Schauen wir am heutigen 08. Mai, so gut wir können, der Wahrheit ins Auge.
Diese Sätze haben nach 35 Jahren nichts von ihrer Aktualität verloren. Heute, 2017, gehen wir nicht mehr gramgebeugt und mit Schuld beladen, voller Tränen um unsere Toten, zum Kriegerdenkmal.
Wir sind selbstbewusste Bürger einer stabilen Demokratie und als Deutsche längst in der Welt wieder respektiert, ja, teilweise sogar bewundert und beneidet.
Also alles in Ordnung? Nein! Nichts ist in Ordnung.
Die jahrzehntelangen Sicherheiten sind weg. Uns schwankt der Boden unter den Füssen. In uns wächst schleichend eine diffuse Angst vor der Zukunft.
Aber wir sollten dieser aufkeimenden Angst keinen Raum geben! Angst ist immer ein schlechter Ratgeber!
Leider wird diese diffuse Angst inzwischen gezielt von außen geschürt!
Überall in Europa tauchen nach diesen langen Jahrzehnten ohne Krieg wieder Menschen auf, die uns mit rückwärtsgewandten nationalistischen Parolen die Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft versprechen.
Deshalb sollte nicht nur „nie mehr Krieg“ unsere Devise sein, sondern „Wir wollen nie mehr populistischen Rattenfängern mit ihren rückwärtsgewandten und nationalistischen Parolen auf den Leim gehen.
Aber wie können wir „ für den Frieden arbeiten?“ wie es Richard von Weizsäcker in seiner Rede formuliert hat.
Können wir überhaupt zum Frieden in der Welt einen Beitrag leisten? Kürzlich fand ich in der Süddeutschen Zeitung im Zusammenhang mit den Anschlägen in den USA den Satz:
„Beten ist sicher nicht falsch, aber Blutspenden ist konkreter!“
Das gilt auch für die Friedensarbeit. Jeder für sich sollte daher in seinem unmittelbaren familiären und sozialen Umfeld die fünf großen Feinde des Friedens unterdrücken:
- die Intoleranz,
- den Neid,
- den Hass
- den Egoismus
- und die Habgier
Wie das gelingen kann und wir damit einen kleinen, aber konkreten Beitrag zum Frieden in der Welt leisten können, erzählt eine kleine Geschichte von Tania Konnerth zum Schluss:
Wie immer lief der Miesepeter missgelaunt durch die Straßen. Alles ärgerte ihn – das Wetter, das Grau der Häuser, die unfreundlichen Mienen der anderen.
Da kam zufällig ein Lächeln vorbeigeflattert und da es gerade nichts Besseres zu tun hatte, hüpfte es dem Miesepeter mitten ins Gesicht und machte es sich dort gemütlich.
Der hatte das aber in seiner ganzen Muffigkeit gar nicht gemerkt und ging mit schlechter Laune weiter.
Als ihm nun andere Leute entgegenkamen, wurde er herzlich gegrüßt und alle schienen sich zu freuen, ihn zu sehen.
Das verwunderte den Miesepeter sehr und gegen seinen Willen fühlte er sich schon etwas besser.
Immer mehr Leute winkten ihm lächelnd zu. An einem Blumenstand reichte man ihm eine Sonnenblume und wünschte ihm einen guten Tag.
Irgendwie wirkten nun die Häuser auch viel weniger grau, und eigentlich sah der Marktplatz sogar sehr hübsch aus.
Und der Himmel schien auch schon viel blauer zu sein- und da, war das nicht sogar die Sonne?
Als der Miesepeter nach Hause kam und seine Jacke auszog, sah er sich selbst im Spiegel lächeln.
Und das fühlte sich gut, richtig gut an!
Also gehen wir optimistisch und selbstbewusst in die Zukunft. Versuchen wir ein Lächeln in die Gesichter unserer Mitbürger zu locken.
Dann haben wir konkrete „Friedensarbeit“ geleistet und das Vermächtnis der Toten und Gefallenen erfüllt, die sich so ein Deutschland, wie wir es leben dürfen, sicher gewünscht hätten!.