Volkstrauertag 2016 : Rede von Oberst a.D. Henner Wehn

Stalingrad, Januar 1943.

Die achtzig letzten Schuss waren verschossen. Zuerst hatte man nach den Seitengewehren gegriffen, aber die Russen kamen nicht. Nach einer Viertelstunde war man ruhiger geworden. Es waren elf Mann und sie waren durch nichts aus der Ruhe zu bringen.

Was im Soldbuch als Ausrüstung stand, hatten sie am durchgefrorenen Körper und der Eßvorrat bestand noch aus ein paar Gramm Brot. Es war der 31. Januar 1943 und nichts mehr zu hoffen.

Der Feldwebel vom II. Zug hatte einmal Pfarrer werden wollen. Nun versammelte er die elf Mann um sich. Sie folgten ihm in den Keller.

Ihre Gesichter waren so schwarz wie ihre Bärte. Sie setzten sich auf die Erde und ihr Feldwebel schnitt für jeden eine Scheibe Brot. Dann sprach er ihnen die Worte, die über 300 Jahre alt sind und von Georg Neumark stammen:

„Was helfen uns die schweren Sorgen, was hilft uns unser Weh und Ach. Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach. Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.“

Dann sagten sie gemeinsam „Amen!“

Es klang schaurig in dem Keller. Wenn sie dieses Brot gegessen haben, werden sie nichts weiteres mehr zu essen finden. Es ist also ihre letzte Mahlzeit. Seit vierzig Tagen haben sie nur von Brot und dünner Suppe gelebt.

Die zwölf Kameraden sind aus dem Keller nicht wieder nach oben gegangen, und eine Stunde darauf durch einen schweren Artillerievolltreffer gefallen. Alle auf einmal.

(Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Stalingrad…bis zur letzten Patrone.“


Es war die erste Dokumentation von Heinz Schröter über den Untergang der 6. Armee nach dem Krieg aus dem Jahr 1954)

Tief eingefallene Augen, völlig übermüdet und erschöpft, die Uniform vom Lehm und Boden russischer Erde verdreckt, seit Wochen ungewaschen und unrasiert, seit Tagen kein warmes Essen,      ständig den Panzerangriffen, dem Granathagel und Flachfeuer des Feindes ausgesetzt, den Tod und schwerste Verwundung engster Kameraden vor Augen, in ständiger Angst vor russischer Gefangennahme

so sah der Alltag des deutschen Soldaten an der russischen Front in den letzten Kriegsjahren aus.

Und in der Heimat, im „Deutschen Reich“ zogen Kolonnen zum Skelett abgemagerter ,hungernder und ihrer Menschenwürde beraubter KZ-Häftlinge in Todesmärschen über die Landstraßen, saßen Frauen und Kinder halb verrückt vor Angst in dunklen Bunkern und Kellern unter dem Bombenhagel der alliierten Luftflotten, oder waren bei eisiger Kälte auf der Flucht vor den Russen.

Heute ist der Tag, an dem wir um die Menschen trauern, die dieses Inferno nicht überlebt haben. Deren Hoffnungen auf ein Leben in Frieden und ohne Angst sich nicht erfüllt haben. Ob sie am Ende wirklich ohne Hoffnung waren?

Ich denke, sie haben bis zu ihrem letzten Atemzug gehofft:

  • gehofft, dass sie noch einmal Frieden erleben dürfen,
  • gehofft, dass sie sich in der menschliche Nähe und Liebe ihrer Familien geborgen fühlen können.
  • gehofft , noch einmal durch ihre Heimatgemeinden zu spazieren,
  • gehofft, einen ganz normalen beruflichen Alltag leben zu können.

Nein, Ihre Hoffnung hat sich nicht erfüllt!  Sie starben in den 6 Jahren, in denen, vom Deutschen Reich ausgehend, in Europa die jahrhunderte alte christlich geprägte Zivilisation von einer „Kultur des Todes und der Barbarei“ abgelöst war.

Aber wie wir alle wissen: es war keine unabwendbare Naturkatastrophe.

Es war ein von machtgierigen, ehrgeizigen und skrupellosen Rassisten entfachtes Inferno. Und dieses Inferno brach nicht sozusagen „über Nacht“ über die Menschen herein!

Da gab es im November 1932, 13 Jahre vor dieser materiellen und moralischen Zerstörung Europas die letzten freien und demokratischen Wahlen im Deutschen Reich.

Bei einer Wahlbeteiligung von heute kaum vorstellbaren 80,6 % kam damals die NSDAP auf 33,1 % der Stimmen.

Ja, nur 33,1 % der Stimmen. Das war weit entfernt von eine absoluten Mehrheit! Die Mehrheit der Deutschen waren eben keine Nazis!

Aber zusammen mit der KPD und der Deutsch-Nationalen Volkspartei hatten die antidemokratischen Kräfte von links und rechts eine Mehrheit, und es kam keine regierungsfähige demokratische Mehrheit zustande.

In den folgenden politischen Wirren und Intrigen entwickelte sich dann eine mörderische Diktatur , die einen Weltkrieg vom Zaun brach ,der ca. 80 Millionen Menschen das Leben kostete.

Viele Wähler im November 1932 werden wohl gedacht haben, dass dieser schreiende Fanatiker mit dem Schnauzbärtchen und seine braunen Rabaukenhorden es wohl nicht so ernst meinen mit ihren rassistischen und machtgierigen Drohungen.

Außerdem versprach Hitler ja auch so einfache Lösungen für die damaligen schweren wirtschaftlichen Probleme.

Doch! Hitler und seine Spießgesellen meinten es im wahrsten Sinne des Wortes „todernst“. Und nachhaltige echte Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme hatte er auch nicht. Eiskalt plante er Krieg und stürzte Europa in ein schreckliches Inferno.

Wir sollten heute also nicht nur um die vielen Toten und Vermissten trauern, sondern den Tag als Weckruf und Mahnung verstehen.

  • „Bleibt wachsam und aufmerksam.
  • Verteidigt engagiert Eure Freiheit und Demokratie!
  • Und vor allem: Habt keine Angst vor der Zukunft!
  • Angst lähmt!“

Vielleicht würden die 12 Soldaten aus Stalingrad, unsere Gefallenen aus Mitterfels und die erschossenen und erschlagenen Gefangenen, die in unserem Gemeindbereich umkamen uns heute erstaunt anschauen und zurufen:

„Ihr verfügt über alles, von dem wir nur träumen konnten: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Wohlstand, Familie und Arbeit! Vor was habt ihr denn Angst?“

Im Jahre 2016 sind laut einer Studie der R+V-Versicherung die Ängste der deutschen innerhalb eines Jahres so stark angestiegen wie noch nie!

Angst vor Terror, Angst vor politischem Extremismus, Angst vor sozialem Abstieg, Angst vor dem Islam und Angst vor zu vielen Flüchtlingen greift in der Bundesrepublik um sich.

Dabei hat Victor Hugo, der französische Schriftsteller, schon vor ca. 200 Jahren geschrieben:

Die Zukunft hat viele Namen. Für die Schwachen ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance!“

Haben wir Grund uns schwach und furchtsam zu fühlen? Sind wir womöglich schwach und furchtsam? Nein! Wir haben weder Grund noch sind wir es in der überwiegenden Mehrheit!

Neben der zentralen Botschaft des heutigen Tages „Nie wieder Krieg“ sollten wir auch die andere Botschaft hören: „Gehört nie mehr einer „schweigende Mehrheit“ an, bis es zu spät ist.

Denkt an die Wahlen 1932 und 1933. Kämpft aktiv und energisch um die kostbaren Errungenschaften einer freien Demokratie.“

Es ist ja kaum zu fassen, dass es nach der Nazidiktatur mit ihrem schrankenlosen Terror und ihrem Rassenwahn wieder eine lautstarke rechtsradikale Szene in Deutschland gibt.

Noch weniger ist es zu fassen, dass aus der schweigenden Mehrheit keine lautstarke Mehrheit wird, die gegen diese geschichtsvergessenen “Angstmacher“ ,und „Rassisten“ aufsteht und sie in die Schranken weist.

Unsere Antwort auf die sicher komplizierte Weltlage sollte nicht in „Politikverdrossenheit“ und „Politikerverachtung“ oder gar der „Wahlenthaltung“ münden. Im Gegenteil.

Unterstützen wir die Menschen, die das nicht leichte politische Geschäft der Demokratie für uns tagtäglich auf kommunaler ,Länder, und Bundesebene besorgen und damit unsere Demokratie am Leben halten.

Sie ringen um Kompromisse und Lösungen, oft unter Verzicht auf jede Freizeit und ein geregeltes Familienleben.

Dafür werden sie dann noch pauschal als „Politikerkaste“ beschimpft und verhöhnt. So hat unsere Demokratie keine Zukunft!

Welch ein starkes und positives Signal für eine lebendige Demokratie wäre dagegen eine Wahlbeteiligung von über 80 % bei der nächsten Bundestagswahl 2017.

Wenn dann auch noch bei diesen Wahlen die populistischen Parteien als das markiert würden, was sie sind: Ränder und Minderheiten, wäre das ein beeindruckendes Fanal für unsere freiheitliche Demokratie.

Der Ruf „Wir sind das Volk“ müsste diesen „Schreihälsen“ auf den Lippen vertrocknen.

Und auch der von ihnen allzu oft gehörte Ruf: „Verteidigt unsere Werte!“ ist zu hinterfragen. Diese selbsternannten „Verteidiger unserer Werte“ verletzten genau diese Werte selbst durch ihre Lügen, durch ihre Verdrehung und das Verschweigen von Tatsachen und ihren hasserfüllten Umgang mit Fremden und Flüchtlingen.

Die überwiegende Mehrzahl der Muslime greift unsere Werte nicht an, aber sie leben bewusst ihren Glauben. Terroristen und militante Muslime des politischen Islam sind nicht muslimische Gläubige , sondern Verbrecher und Kriminelle!

Und wir?

Ist es nicht eher so, dass auch wir lau und nachlässig mit den christlichen Werten umgehen? Wer von uns kann z. B. auf Anhieb auswendig die zehn Gebote aufzählen oder das „Vater unser“ beten?

Sehr oft habe ich während meines halbjährigen Einsatzes im KOSOVO erlebt, dass junge, religiös nicht gebundene Soldaten im Gespräch auf die Frage von gläubigen Muslimen: „und an was glaubst Du?“, ohne eine Antwort sprachlos dastanden.

Ist unser Alltag wirklich noch erkennbar christlich geprägt?

Nutzen wir daher den Volkstrauertag nicht nur zur Trauer, sondern auch als Appell an uns alle, unsere christlich geprägte „Kultur des Lebens“ zu bewahren und unsere Werte nicht nur im Mund zu führen, sondern zu leben.

Dann sind diese Werte auch für Andersgläubige und Fremde erfahrbar und erkennbar und werden eher respektiert.

Dann können wir, gefestigt in unserem Glauben , getrost und mit Zuversicht und Optimismus den Herausforderungen der Zukunft ohne Angst entgegensehen..


Lassen Sie mich zum Schluss wieder eine kleine Geschichte erzählen:

„ Eine Frau träumte eines Nachts davon, einen Markt zu besuchen. Dort inmitten der vielen bunten Stände traf sie auch Gott. Auch er hatte einen Stand.

Scheu näherte sie sich diesem Stand. „Was verkaufst Du hier?“  Gott antwortete: „Alles was Dein Herz begehrt.“

Als sich die Frau wieder gefasst hatte, beschloss sie, diese Gelegenheit zu nutzen.  „Ich möchte Frieden für meine Seele und Liebe und Glück. Und weise möchte ich sein und nie mehr Angst haben.“ sagte die Frau zu Gott. „Und das nicht nur für mich alleine, sondern für alle Menschen.“

Gott lächelte. „Ich glaube, Du hast mich missverstanden. Ich verkaufe hier keine Früchte, sondern Samen!“

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