Predigt zur Christmette 2011 in St. Jakob, Haselbach: Pater Dominik Daschner, kath. Pfarrer der Seelsorgeeinheit Mitterfels-Haselbach-Herrnfehlburg
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Nach einem langen Weg durch den kirchlichen Advent und einer noch längeren Vorweihnachtszeit in den Geschäften und Medien sind wir also nun beim Weihnachtsgeschehen angekommen, grade so wie die Hirten: bei der Jungfrau Maria und ihrem Kind, „das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt“. Heute stehen wir staunend vor diesem Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Aber neben Maria, dem Jesuskind und den Hirten ist da in unseren Krippen ja noch einer: der hl. Josef. In den meisten Krippen und auf vielen Weihnachtsbildern sitzt er etwas abseits neben dem Futtertrog mit dem göttlichen Kind, grübelnd über das Geschehen dieser Heiligen Nacht und ein wenig verdattert darüber, als habe es ihm die Sprache verschlagen, weil er es einfach nicht fassen kann, was da die Engel aus der Höhe verkünden: dass in diesem Kind seiner Verlobten der Welt der Retter und Heiland geboren ist.
Mit diesem Bild des stumm sinnierenden Josef setzen unsere volksfrommen Weihnachtsdarstellungen etwas in Szene, was auch in den neutestamentlichen Berichten über den Nährvater Jesu festzustellen ist: nämlich dass uns aus dem Mund des Josef in der ganzen Bibel kein einziges Wort überliefert ist. Anders als Maria, als die Hirten und die Heiligen Drei Könige bleibt Josef für uns stumm. Maria sagt ihr Ja zur Botschaft des Engels Gabriel – „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort“ -, sie singt ihr Magnificat; die Hirten sagen zueinander: „Kommt, wir gehen nach Betlehem, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr verkünden ließ“, und sie erzählen an der Krippe, „was ihnen über dieses Kind gesagt worden war“. Die Sterndeuter aus dem Osten diskutieren mit Herodes und den Schriftgelehrten über den Stern, den sie haben aufgehen sehen. Und vor der Krippe gehen sie in die Knie und huldigen dem neugeborenen König. Nur von Josef hören wir kein Wort. Von ihm heißt es stets nur: „Er tat, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte.“ Aber kein Wort, als habe es ihm die Sprache verschlagen.
Ich frage mich, liebe Schwestern und Brüder, ist dieser hl. Josef mit seiner Sprachlosigkeit nicht ein Symbolbild für uns Menschen, ein Bild für die Menschen unserer Zeit? Wir leben heute zwar in einem Zeitalter der Telekommunikation. Es wird telefoniert, gesimst, getwittert und in sozialen Netzwerken gepostet wie noch nie. In rasanter Geschwindigkeit und in noch nie gekanntem Umfang tauschen wir Informationen aus.
Aber herrscht nicht dennoch oft Funkstille auf der zwischenmenschlichen Ebene? „Du verstehst mich nicht“, so heißt es dann. Oder: „Du interessiert Dich überhaupt nicht dafür, wie es mir geht!“ In seinem Lied „Still“, das in den letzten Wochen von den Radiostationen rauf und runter gespielt worden ist, fasst Jupiter Jones diese Erfahrung in die Worte: „So laut und so verloren war es hier, als Stille bei uns wohnte anstatt Dir.“ Aus dieser Textzeile spricht die bittere Erfahrung, wie viel Schweigen, welche Sprachlosigkeit doch oft in Beziehungen herrschen kann; selbst zwischen denen, die unter einem Dach leben: in einer Ehe, in der Familie, in einem Kloster.
Aber auch um uns herum und im großen Weltgeschehen, erleben wir immer wieder Dinge, bei denen es uns buchstäblich die Stimme verschlägt. Ob das in diesem Jahr der unglaubliche Gewaltausbruch auf der norwegischen Insel Utøya war, geboren aus dem Hass eines Einzelnen auf alles Fremde, der mehr als 70 Menschen das Leben gekostet hat. Oder zuletzt der schreckliche Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Lüttich. Oder bei uns in Deutschland die lange unentdeckt gebliebene Mordserie einer Neonazi-Gruppe. Bei solchen Taten, da fehlen uns die Worte, sie machen uns sprachlos. Sprachlos, wozu der Mensch fähig ist, wenn Beziehungen gestört sind.
Und herrscht nicht oft genug auch Sprachlosigkeit in der Beziehung des Menschen zu Gott? In seinem Wort zum Sonntag vor seinem Besuch in Deutschland im September hat Papst Benedikt darauf angespielt. Er wolle mit seinem Besuch Gott wieder ins Gespräch bringen; dazu anregen, dass wir Gott wieder zu Gesicht bekommen, dass wir seine Stimme wieder hören. Jenen Gott, der vielen unserer Zeitgenossen so ganz abwesend erscheint, und dessen wir doch so sehr bedürfen, so Papst Benedikt in seinem Wort zum Sonntag.
Ja, liebe Schwestern und Brüder, oft genug sind wir Menschen sprachlos wie Josef in den Berichten des Neuen Testaments, wie der Nährvater Jesu an der Krippe. Doch gerade an der Krippe seines Sohnes, an Weihnachten hat Gott von sich her diese Sprachlosigkeit durchbrochen und sein Wort in die Welt gesandt. „Als tiefes Schweigen das All umfing“, so heißt es im Buch der Weisheit, „da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel.“ In unser Schweigen, in unsere Sprachlosigkeit hinein, sagt Gott uns sein rettendes Wort zu in Gestalt seines menschgewordenen Sohnes. „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“, in diesem Satz fasst das Johannesevangelium das Weihnachtsgeschehen zusammen. Jenes Wort, das von Anfang an war, das Gott selbst ist, kam an Weihnachten in unsere oft so sprachlose Welt.
Weihnachten zeigt uns: Wo unsere Welt sprachlos ist für Gott und Mitmensch, da gibt Gott nicht auf. Wo wir bisweilen kein Wort über die Lippen bringen, da spricht er uns sein Wort zu. Er durchbricht das Schweigen. Selbst wenn viele Menschen heute mit Gott nichts mehr anfangen können, von ihm nichts mehr wissen wollen, gibt Gott in seinem Bemühen um den Menschen dennoch nicht auf. Er spricht uns immer wieder aufs Neue an.
„Heute ist euch der Retter geboren“, so wird den Hirten auf dem Feld zugesagt. Dieses „heute“ gilt genauso uns jetzt. Gottes Wort gilt heute uns. Er spricht heute uns an. Dem, der müde und niedergeschlagen ist, sagt er: Steh auf! Dem, dessen Leben dunkel ist: Sieh! Dem, der keine Ruhe findet: Der Friede sei mit dir! Hier, heute, jetzt. Weihnachten ist der Versuch Gottes, uns Menschen zu sagen, wozu er uns erschaffen hat und wie sehr er uns liebt - den Menschen damals zur Zeit des Kaisers Augustus, „als Quirinius Statthalter von Syrien war“, und genauso uns heute.
Mit Weihnachten macht Gott deutlich, dass er nicht ein beziehungslos-schweigendes jenseitiges Prinzip ist, als welches viele unserer Zeitgenossen heute allenfalls bereit sind, Gott anzuerkennen, sondern dass Gott ein personhaftes Wesen ist, das uns anspricht, der sich uns mitteilt, der Beziehung zu uns sucht und dadurch auch Beziehung der Menschen untereinander stiftet. Der unaussprechliche, geheimnisvolle Grund allen Seins spricht sich selbst aus in dem Kind in der Krippe, in dem Mann aus Nazaret und seinem Wirken. Das feiern wir an Weihnachten.
Gott durchbricht an Weihnachten die Sprachlosigkeit des Menschen. Ob der verdattert schweigende Josef an der Krippe in den Tagen nach Betlehem die Sprache wiedergefunden hat, das wissen wir nicht; dafür verliert sich seine Spur im Neuen Testament zu schnell. Aber auf jeden Fall könnten wir uns an Weihnachten an Gott ein Beispiel nehmen und versuchen, manche Sprachlosigkeit zu überwinden, die vielleicht auch bei uns existiert. Indem wir einen neuen Anfang machen in unseren mitmenschlichen Beziehungen. Das Schweigen durchbrechen mit einem guten Wort, wo einer dem anderen vielleicht schon lange nichts mehr zu sagen hatte. Vielleicht auch einen neuen Anfang zu wagen in unserer Beziehung zu Gott. Mit ihm wieder neu das Gespräch suchen im Gebet, wo das vielleicht eingeschlafen ist.
Gott schenkt uns heute neu sein Wort. Er wartet auf unsere Antwort.
Krippe: Alois Kallus, Haselbach