Zunächst begrüßte Elisabeth Vogel, Vorsitzende des Arbeitskreis Heimatgeschichte, die Zuhörer. Es handele sich noch immer um einen, manchmal vergessenen, vielfach gemiedenen, brisanten Abschnitt in unserer Geschichte, mit Bezügen in die Gegenwart. Helmut Erwert dankte zunächst Franz Tosch, der es übernommen hatte, die bereits vorhandenen Projektorfolien mit Darstellungen eines Teils der Dokumente in eine moderne Power-Point-Präsentation umzuwandeln.
Geschichte komme im Wortstamm von Geschehen und Geschehen bedeute Veränderung, so Erwert. Diese laufe manchmal in kaum bemerkbaren Schritten ab, manchmal komme es aber auch dazu, dass die Verhältnisse schlagartig umkippten und einen radikalen Umbruch nach sich zögen. Den Anlass hierfür könnten innere oder äußere Ereignisse bilden, letztere zeichneten sich oft dadurch aus, dass sie besonders gewaltsam seien. Die Geschehnisse im Jahre 1945 stellten für unser Land den radikalsten Einschnitt und die größte historische Zeitenwende dar und seien schon deshalb wert, genauer betrachtet zu werden.
Als Glücksfall für die Erforschung des Themas stellte sich heraus, dass die Amerikaner als Besatzungsmacht die Vorgänge akribisch dokumentierten und ihre Unterlagen umfangreich archivierten. Seit den Jahren 1994/95 sind diese der Öffentlichkeit zugänglich. Erwert bediente sich der weltgrößten Archive der USA, der „National Archives and Records Administrations“, insbesondere des Archivs in College Park, Maryland. Er hob die Schwierigkeit hervor, in der mehr als zweihundert Regalkilometer umfassenden Sammlung genau die zwanzig Zentimeter zu finden, die sich mit besagtem Zeitabschnitt in unserem Raum beschäftigten.
Den ersten Teil der Ausführungen umfasste die Endkriegsphase. Der Referent beleuchtete hierzu zunächst den Bomberangriff der Amerikaner auf die Eisenbahnbrücke über die Donau bei Bogen am 16. April 1945. Dieser wurde von sage und schreibe 174 B-17-Bombern, den sogenannten „Fliegenden Festungen“ geflogen, jedes Flugzeug brachte eine tödliche Last von 12 bis 14 Fünfzentnerbomben mit sich. Kaum vorstellbar, welch riesigen Aufwand man wegen eines derart bescheidenen militärischen Zieles betrieb. Die Abwürfe erfolgten aus einer Höhe von 17.500 bis 18.500 Fuß, also um die 6.000 Meter. Entsprechend schwierig war es für die Besatzungen, die Bomben zielgenau abzuwerfen. Der wesentliche Teil verfehlte daher auch sein Ziel, was durch Luftaufnahmen aus den Bombern und aus Aufklärungsflugzeugen dokumentiert wurde. Dennoch gelang es den Angreifern, die Bahnverbindung zu unterbrechen.
Anschließend wurde der Bombenangriff auf Straubing vom 18. April 1945 erläutert, bei dem 310 Menschen ihr Leben verloren. Erwert stellte insbesondere dar, von welchen Zufälligkeiten dieser letztlich abhing: Primärziel der Fliegerstaffel sollte die Stadt Tabor bei Budweis mit umfangreicher Rüstungsindustrie sein. Für den Fall, dass Wolken die Sicht behinderten, wurde eigentlich Pilsen als Ausweichziel angegeben. Da an diesem Tag in Tabor tatsächlich schlechtes Wetter vorherrschte, wurde die Planung fallen gelassen und erst zwei Stunden vor Abflug die Bomber nach Straubing beordert, wobei der Auftrag dahin ging, die Bahnanlagen der Stadt zu treffen und dadurch mögliche Nachschublinien zu unterbrechen. Auch hierzu liegt umfangreiches Berichtsmaterial vor. Von besonderem Interesse sind dabei die nachträglichen Auswertungen der Bombentreffer, die eine erhebliche Streuung belegen, mit ein Grund dafür, dass soviele Menschen ihr Leben verloren.
Der Referent kam nun auf den Vormarsch der Bodentruppen zu sprechen, der aber glücklicherweise in unserem Gebiet im Wesentlichen durch geringen bis keinem Widerstand gekennzeichnet war und relativ ungehindert vor sich ging. Mitterfels selbst wurde von den Amerikanern am 26. April 1945 eingenommen.
Es begann die Zeit der Besatzung und Militärregierung. Die einzelnen Stellen hatten hierzu in regelmäßigen Abständen, zum Teil sogar wöchentlich, Bericht zu erstatten. Auch diese Berichte sind zum großen Teil noch erhalten. Großes Augenmerk wurde von den Besatzern natürlich auch auf die politische Entwicklung gelegt. Von großer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang die Vertriebenen und Flüchtlinge, denen es lange Zeit untersagt war, sich zu organisieren oder zu versammeln. Die Militärregierung sah in ihnen ein erhebliches Unruhepotential. Auch war die Eingliederung mit großen Schwierigkeiten verbunden, schon allein wegen der großen Zahl an betroffenen Personen. So hatte der Landkreis Bogen 1946 42.000 Einwohner, hiervon waren 9.190 Flüchtlinge, was etwa 21% der Bevölkerung entsprach. Die Not an Unterkünften und Versorgung war kaum zu bewältigen.
Besonders zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der erste Militärgouverneur von Bogen Captain Alfred G. Albert, der sich durch sein wohlgesonnenes Verhalten gegenüber den Einheimischen auszeichnete und von Erwert als „unabhängiger Kopf“ gewürdigt wurde, der es zum Wohl der Bevölkerung mehrfach wagte, sich gegenüber Vorgesetzten und teilweise unsinnigen Maßnahmen der Umerziehung, kritisch zu äußern. Einiges Schmunzeln rief schließlich noch ein Bericht über die Überprüfung des Mitterfelser Gefängnisses in diesen Jahren hervor, in dem unter anderem kritisiert wurde, dass Lebensmittel, Schreibgeräte und andere Gegenstände von Besuchern am Wachpersonal vorbei an die Gefangenen „geliefert“ werden konnten. Auch hätten Gefangene Briefe durch die vergitterten Fenster werfen können, die, wie vorher abgesprochen, von deren Frauen in Empfang genommen wurden.
Zum Abschluss ging Erwert noch auf die Auswirkungen der Besatzungszeit und der Umerziehung der Bevölkerung ein. So habe Deutschland, etwa im Hinblick auf die Verfassung aus den Fehlern der Weimarer Zeit gelernt, etwa beim Verbot radikaler Parteien, die die Demokratie gefährden. Kritisch betrachtete er allerdings die radikale „Umpolung“ der Gesellschaft mit weitgehender Kommerzialisierung und Konsumorientierung. Auch die Sprache werde zunehmend in „Denglisch“ und „Schauderwelsch“ verunstaltet. Es stelle sich die Frage, ob unser Land letztlich eine eigene originäre Kreativität verloren habe. Im Hinblick darauf, ob die deutsche Besetzung den Amerikanern als Muster für Demokratisierungsversuche weltweit habe dienen können, zeigte sich Erwert vor allem im Hinblick auf Afghanistan und Irak skeptisch. Besonders die geistesgeschichtliche Entwicklung sei in der Vergangenheit zu unterschiedlich verlaufen, als dass gleiche Maßstäbe angelegt werden könnten.