Die Redaktion von "Bayerns Polizei" sprach mit Dominik Hammer, Fachpsychologe für Verkehrspsychologie bei der „TÜV Süd Life Service GmbH“ in Passau.
BP: Herr Hammer, was bedeutet "MPU"?
Diese Abkürzung steht für "Medizinisch-Psychologische Untersuchung", in Bayern hieß sie früher auch "PMU".
Es gibt aber doch auch einen anderen Namen dafür...?
Richtig, sie sprechen den berühmten Begriff "Depperltest" an: der Begriff stammt aus der Zeit der Entstehung der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung, die in Bayern 1954 aus der Taufe gehoben wurde. In der Nachkriegszeit gab es nicht wenige Kriegsverletzte, die arm- oder beinamputiert waren und bei denen sich die Führerscheinstelle die Frage stellte, ob sie dennoch sicher Auto fahren könnten. Der oft gedankenlos gebrauchte Begriff "Depperltest" entspringt somit einer handfesten Diskriminierung von Behinderten – wird aber leider in der Umgangssprache noch immer gebraucht.
Die MPU ist ja in der Fahrerlaubnis-Verordnung fest verankert, obwohl sie über Jahre und Jahrzehnte immer wieder in Frage gestellt wurde...
Ohne wissenschaftliche Belege ihrer Wirksamkeit wäre diese Verankerung als Maßnahme zur Steigerung der Verkehrssicherheit nicht möglich gewesen. Die MPU ist ein vorgeschriebenes Vorgehen mit wissenschaftlichen Methoden, die eine zuverlässige Aussage über die Fahreignung einer Person zulassen. Und darüber hinaus auch Wege aufzeigen kann, wie diese wiedererlangt werden kann. Die MPU bedeutet zweierlei: Schutz und Chance.
Schutz bedeutet, dass die Verkehrsgemeinschaft vor gefährdenden Teilnehmern geschützt werden muss. Chance bedeutet, dass Fahrer, die sich in der Vergangenheit gefährlich verhalten haben, sich ändern können und sich durch eine Fahreignungsbegutachtung rehabilitieren können. Dieses Vorgehen ist weltweit einmalig.
Wer muss eigentlich zur MPU und warum?
Die Personen, bei denen die Straßenverkehrsbehörde die Vorlage eines MPU-Gutachtens verlangt, sind entweder Fahrer mit besonderer Verantwortung oder auch Fahrer mit besonderen Problemen. Otto Normalverbraucher muss nicht zur MPU.
Wer sind die Fahrer mit besonderer Verantwortung?
Nun, das sind in erster Linie Jugendliche, die vorzeitig eine Feuererlaubnis erwerben wollen. Sie müssen bei der MPU dokumentieren, dass sie zum Beispiel als 17-Jährige bereits einen Reifestatus eines durchschnittlichen 18-Jährigen erreicht haben. Das sind aber auch Taxi- und Busfahrer.
Und Fahrer mit besonderen Problemen?
Dies ist die bei weitem größte Gruppe unsere Kunden, im Vordergrund stehen natürlich alkoholauffällige Fahrer, aber auch Fahrer, die mit illegalen Drogen oder Medikamenten im Straßenverkehr aufgefallen sind. Darüber hinaus Fahrer mit hoher Punktebelastung in Flensburg, Fahrer die Straftaten im Straßenverkehr begangen haben oder Straftaten außerhalb des Straßenverkehrs, die auf ein hohes Aggressionspotenzial hinweisen. Und nicht zuletzt auch Fahrer, die in Folge gesundheitlicher Einschränkungen oder Krankheiten im Straßenverkehr auffällig geworden sind.
Können Sie uns statistische Daten nennen?
Gerne. Die Bundesanstalt für Straßenwesen, die sämtliche amtlich anerkannten Begutachtungsstellen für Fahreignung akkreditiert und hinsichtlich ihrer Qualitätsmerkmale überprüft, veröffentlicht jährlich die Begutachtungsstatistik.
Die Hauptgruppe Ihrer Klienten sind vermutlich alkoholauffällige Fahrer?
So ist es: wer wiederholt unter Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug lenkt, ist MPU-Kandidat, weil er durch sein Verhalten bewiesen hat, dass er aus dem ersten Vorfall keine entsprechenden Lehren gezogen hat.
Dies gilt übrigens auch für Fahrer, die wiederholt im OWI-Bereich aufgefallen sind, also innerhalb von zwei Jahren zweimal mit mehr als 0,5 Promille ein Kraftfahrzeug gelenkt haben.
Außerdem verlangt die Behörde eine MPU bei Klienten, die erstmalig mit 1,6 Promille oder mehr im Blut gefahren sind. Auch unter 1,6 Promille kann eine MPU bei einem erstmalig Auffälligen gefordert werden, wenn die Führerscheinstelle Hinweise darauf hat, dass eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung bzw. Alkoholmissbrauch vorliegt.
Nach welchen Merkmalen will die Straßenverkehrsbehörde dies beurteilen können?
Manchmal erlauben Tageszeit und Umstände diesen Schluss:
Zum Beispiel, wenn ein LKW-Fahrer auf einem Autobahnrastplatz kontrolliert wird und um 12 Uhr mittags eine Blutalkoholkonzentration von 1,44 Promille aufweist.
Hier liegen Blutalkoholwert und Tageszeit deutlich außerhalb des sozial üblichen Trinkverhaltens. Dies könnte zum Beispiel ein Anlass für die Straßenverkehrsbehörde sein, eine Begutachtung anzufordern.
Wie ist es mit den Radfahrern?
Wenn die Führerscheinstelle auf Grund der Alkoholkonzentration, die bei einem Trunkenheitsdelikt mit dem Fahrrad festgestellt wurde, Bedenken hat, fordert sie ihn auch zur MPU. Hintergrund ist, dass die Wahrscheinlichkeit, der Betroffene werde auch ein KFZ unter Alkoholeinfluss führen, als hoch anzusetzen ist. Solche Anordnungen werden von der Führerscheinstelle nicht ohne Grund getroffen: Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, die entsprechende Zusammenhänge bestätigen.
Wie läuft nun eine solche MPU ab?
Drei Monate vor Ablauf der Sperrfrist kann der Betroffene bei der Führerscheinstelle einen Antrag auf eine neue Fahrerlaubnis stellen, vorher wird der Antrag nicht entgegengenommen. Die Führerscheinstelle teilt dann schriftlich mit, dass und warum sie Bedenken gegen die Fahreignung hat und fordert ihn auf, sich mit der Begutachtung einverstanden zu erklären und auch aus einer Liste der amtlich anerkannten Begutachtungsstellen für Fahreignung diejenige auszuwählen, bei der er sich untersuchen lassen will.
Hat der Klient da freie Auswahl?
Ja, aber es muss eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung sein. Es gibt mehr als 250 Begutachtungsstellen in Deutschland (vgl.: www.bast.de).
Wenn der Betroffene zugestimmt hat, wird die Führerscheinakte an die ausgewählte Begutachtungsstelle für Fahreignung geschickt.
Dort wird dann gemäß den Vorgaben ermittelt, welche Untersuchungen durchgeführt werden und damit auch, welche Gebühren entstehen. Die Begutachtungsstellen sind an diese amtliche Gebührenordnung (GebOSt) gebunden, auch wenn man seit einigen Jahren mehrere Träger für Begutachtungsstellen akkreditiert und anerkannt hat - einen Wettbewerb über den Preis will die Aufsichtsbehörde bewusst vermeiden.
Ist dann nicht zu befürchten, dass es einen "Wettbewerb über die Quote" gibt?
Nein. Sämtliche Begutachtungsstellen für Fahreignung müssen sich nach den "Begutachtungs-Leitlinien" und den "Beurteilungskriterien" richten, dies wird regelmäßig durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt) überprüft. Wenn es hier Auffälligkeiten in die eine oder andere Richtung geben würde, dann würde die BaSt eingreifen. Man muss hier ganz klar unterscheiden zwischen subjektiven Eindrücken, die bei einigen Klienten bestehen und den objektiven Tatsachen.
Wie läuft nun die MPU ab?
Am Untersuchungstag füllt der Kunde – zu über 90Prozent sind die Kunden übrigens männlich – einige orientierende Fragebögen aus, anschließend wird seine Belastbarkeit, seine Konzentrations- und Leistungsfähigkeit an einem Testgerät überprüft. Dabei gibt es unterschiedliche Anforderungen, je nachdem, ob er eine Fahrerlaubnis der Gruppe 1 (Pkw und Motorrad) oder der Gruppe 2 (Lkw und Busse) beantragt hat oder besitzt.
Man hört, es wäre gut, wenn man daheim Computerspiele spielt?
Jein. Natürlich kann man bestimmte, für das Autofahren wichtige Leistungsbereiche wie Konzentration und Reaktion etwas trainieren. Im Allgemeinen wird dieser Faktor jedoch überschätzt.
Wir merken immer wieder, dass manche Leute noch des Öfteren Berührungsängste mit dem „Computer" haben - obwohl unser Testgerät mit einem herkömmlichen Computer nichts zu tun hat. Es ist ein Kasten mit Lämpchen, Tasten und einem Bildschirm mit Berührungseingabe (Touchscreen). Jeder Kunde erhält im Vorfeld eine ausführliche Einweisung, bis er das Gerät und den Ablauf des Tests verstanden hat.
Wie streng sind hier die Testnormen?
Wer einen Führerschein der Gruppe 2 beantragt hat bzw. besitzt darf in den meisten Verfahren nur nicht zum schlechtesten Drittel gehören, wer einen Führerschein der Gruppe 1 beantragt hat, nicht zum schlechtesten Sechstel.
Wenn man nun diese Testnormen nicht erreicht?
Das passiert selten. Wenn, dann gibt es - vorausgesetzt, medizinisch und psychologisch ist alles in Ordnung - immer noch die Möglichkeit, im Rahmen einer Fahrverhaltensbeobachtung zu belegen, dass sich die festgestellten Leistungseinbußen im Straßenverkehr nicht auswirken. Es ist quasi eine Fortsetzung der Leistungsüberprüfung auf der Straße. Ein Verkehrspsychologe beobachtet den Fahrer bei einer circa einstündigen Testfahrt mit einem Kraftfahrzeug der Klasse B, ein Fahrlehrer ist selbstverständlich dabei.
Wie geht es nach dem Leistungstest weiter?
Neben den Leistungstestverfahren gibt es eine ärztliche Anamnese. Dabei untersucht ein Arzt den Kunden auf alkoholtypische Folgesymptome bzw., ob auch akuter Alkoholmissbrauch besteht: Haut, Blutdruck/Kreislauf, innere Organe (Tastbefund, Laborwerte), Nervensystem - eine körperliche Untersuchung, wie man sie von Hausarztbesuchen kennt.
Das können wir uns gut vorstellen. Was hat es dann mit diesem berühmten psychologischen Untersuchungsgespräch auf sich?
Dies ist meist die letzte Station am Untersuchungstag, hier erfolgt eine Befragung des Klienten zu seinen Argumenten, die dafür sprechen, ihm einen neuen Führerschein zu geben bzw. die Fahrerlaubnis zu belassen. In diesem Gespräch wird über die individuelle Situation, die zum Führerscheinentzug geführt hat, gesprochen und darüber, wie in Zukunft sichergestellt werden kann, dass der Kunde zukünftig zuverlässig alkoholnüchtern Auto fährt.
Um dieses Gespräch ranken sich jede Menge Geschichten: dauert nur eine Viertelstunde, man muss die Tür zweimal schließen usw....
Nun, das ist natürlich alles Unsinn. Wir verlangen keine unmöglichen Dinge. Es ist ein Gespräch über die aktuelle Situation und die angebotenen Lösungsversuche, der Versuch eine Lösung zu finden. Selbstverständlich wird auch die psychologische Untersuchung ständig überprüft und angepasst. Wie so ein Gespräch abläuft kann man sich in kurzen Videos auf der Website von TÜV SÜD anschauen. Wir haben diese erstellt, um den Menschen Angst vor der Untersuchung zu nehmen und um mit solchen Gerüchten aufzuräumen.
Wie lange dauert ein solches Gespräch im Durchschnitt?
Die durchschnittliche Dauer liegt bei ca. 45 bis 60 Minuten.
Und dann können Sie diesen Menschen beurteilen?
Wir können die Frage der Führerscheinstelle beantworten, wir gehen ja nicht voraussetzungslos in dieses Gespräch.
Vorher sind uns ja bereits einige Tatsachen (Blutalkoholwert, Tageszeit) bekannt, außerdem kennen wir - die Polizei ja auch - den Zusammenhang zwischen der Blutalkoholkonzentration und der vorausgegangenen Trinkmenge bzw. der Gewöhnung, die es braucht, um überhaupt einen bestimmten Promillewert erreichen zu können (siehe Kasten 4). Unsere Aufgabe ist nicht, eine Einschätzung zu geben, ob der Klient ein braver Familienvater oder ein guter Arbeiter ist, es geht lediglich um die Frage, "ob zu erwarten ist, dass der Untersuchte auch zukünftig ein Kraftfahrzeug und Alkoholeinfluss führen wird". Als geschulte Psychologen sind wir für diese Aufgabe entsprechend ausgebildet.
Gibt es Fangfragen?
Nein, natürlich nicht. Aber: wir fragen schon genau nach und auch bestimmte Sachverhalte mehrmals, um die Zuverlässigkeit einer Aussage zu überprüfen. Aus der Sicht des Gutachters stellen diese Fragen schlicht und einfach eine "Befundsicherung" der Angaben des Klienten dar.
Muss denn jeder, der mit Trunkenheit am Steuer aufgefallen ist, grundsätzlich auf Alkohol verzichten, um ein positives MPU-Gutachten zu bekommen?
Nein. Allerdings gehört einen Großteil unserer Kunden zu einer Gruppe von Konsumenten, die auf Grund ihrer Lerngeschichte und eines langjährigen Missbrauchs nicht zu einem bürgerlichen Trinkverhalten zurückfinden können und deshalb verzichten müssen. Ein anderer Teil unserer Kunden ist diagnostiziert alkoholabhängig und muss schon deshalb "trocken" leben.
Welche Themen werden im psychologischen Gespräch angesprochen?
Zunächst geht es um eine Vorstellung, was macht der Klient beruflich, wie ist seine persönliche Situation, Hobbys. Dies diente auch der Auflockerung, über sich selbst spricht man doch zunächst leichter als über die "Sünden".
Danach hat der Betroffene Gelegenheit, eine Stellungnahme zur Vorgeschichte aus seiner Sicht abzugeben und seine Argumente für eine Neuerteilung des Führerscheins zu formulieren.
Wenn er sagt: „ich brauche den Führerschein für die Arbeit"?
Dies wäre kein überzeugendes Argument - schließlich war dieses Argument schon vorher gültig - der Betroffene hat aber auf seinen Führerschein und auf die Situation offenbar zu wenig Rücksicht genommen und ist trotzdem betrunken gefahren.
Eine positive Beurteilung setzt voraus, dass jemand sein Verhalten verändert hat, dass diese Veränderung in die richtige Richtung geht und dass diese Veränderung stabil ist.
Wie geht es dann weiter?
Die Angaben des Klienten werden hinterfragt und auf Plausibilität und Nachvollziehbarkeit geprüft; am Ende des Gesprächs erhält der Kunde eine Rückmeldung über den Gesprächsverlauf und über den Sachstand, bei klarer Befundlageer auch eine sog. „Ergebnismitteilung". Dies ist Bestandteil unseres Qualitätsmanagements.
Wie lange wartet der Klient auf das Gutachten?
In der Regel maximal 10 Werktage, allerdings sind manchmal bestimmte Befunde erforderlich, das kann die Erstellung des Gutachtens verzögern.
Was hat es mit diesen Leberwerten auf sich?
Leberlaborwerte sind nur noch für eine kleine Gruppe der Alkoholklienten von Bedeutung. Die meisten müssen ja Alkoholabstinenz belegen - und dies geschieht in der Regel, ähnlich wie beim Drogenkontrollprogramm, mit dem Abstinenz-Check.
Abstinenz-Check bedeutet, über einen definierten Zeitraum kurzfristig und unvorhersehbar zu Urinproben einbestellt zu werden, dabei wird der Urin auf die Substanz "Ethylglukuronid" (EtG) untersucht. Der Vorteil dieses Parameters: erhöhte Leberwerte können auch andere Ursachen haben als Alkoholkonsum. Das EtG kann von keiner anderen Substanz verursacht werden und gilt als hundertprozentiger Beleg für vorherige Alkoholzufuhr.
Man hört immer so viel über "Vorbereitungskurse". Können Sie darüber etwas sagen?
Wir in den Begutachtungsstellen für Fahreignung wünschen uns natürlich, dass die Betroffenen sich gründlich mit ihrer Problematik auseinander setzen und gut vorbereitet zur MPU kommen – vor allem, dass sie sich durch einen seriösen Anbieter beraten lassen. Dafür sprechen auch ganz andere Fakten: Wer sich frühzeitig auf die MPU vorbereitet und mit seiner Situation auseinandersetzt kann sein verändertes Verhalten stabilisieren und steigert somit seine Chancen ein positives Gutachten zu erhalten deutlich.
Herr Hammer, wir danken für dieses Gespräch.
Quelle : "Bayerns Polizei" und Dominik Hanner
Portrait Dominik Hammer:
- Geboren 1949, wohnt in Passau, verheiratet, 2 Söhne
- Seit 1985 Mitarbeiter des TÜV Bayern, jetzt TÜV SÜD
- Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, Fachpsychologe für Verkehrspsychologie, Suchtbeauftragter im TÜV SÜD-Konzern.
- Abgeschlossene Ausbildung in Familientherapie, Weiterbildungen in Suchttherapie, Hypnotherapie und Provokativer Therapie.
- Co-Autor und Leiter von Kursen, Moderator zahlreicher interner und externer Fortbildungsveranstaltungen.
- Den Kolleginnen und Kollegen der Bayerischen Polizei vor allem bekannt als Referent beim BPFI in Ainring (Drogen im Straßenverkehr; Prävention von Verkehrsverstößen; Fahrlehrerfortbildung).