Ge­dich­te von Flücht­lin­gen aus Sy­rien und dem Irak be­ein­drucken im Fa­mi­li­en­haus

Ein Fin­ger­ab­druck an der Wand der Zeit

Gedichte in Zeiten von Bomben, Foltern und Vertreibungen? Kunst unter seelischen und alltäglichen Spannungen? Lernen in Ausnahmesituationen? Krieg – Flucht – Elend – und dann Gedichte schreiben?
Diese Fragen umreißen das Problemfeld, in dem Flüchtlinge unter uns und mit uns leben. Entstanden sind die Gedichte in Koordination mit Wolfgang Hammer innerhalb eines integrativen Literatur-Kunst-Projekts des Gesprächskreises in Mitterfels. Am Sonntagnachmittag lasen die Autoren, die aus Irak und Syrien stammen, aus dem Buch „Ein Fingerabdruck an der Wand der Zeit“ diese Gedichte im Kulturcafé des Familienhauses an der Eichendorffstraße vor. „Aus der alten Heimat floh ich vor dem schleichenden Tod und riskierte den schnellen Tod auf dem Meer, um das Leben zu finden.“ So wird in dem Buch Ameer Mamoori zitiert, einer der Autoren, der – seit 2015 in Deutschland – nun in seinem Beruf als Architekt arbeitet.

Viele der Gedichte setzen sich mit der alten und neuen Heimat auseinander. Wolfgang Hammer, ehemals Deutschlehrer, erläuterte zu Beginn der Lesung den Weg, der zu Gesprächen und letztendlich zu den Gedichten geführt hat. Hammer stellte die Autoren vor, die von Beruf Neurochirurg, Architekt oder Dolmetscher waren und diese Berufe auch jetzt ausüben. Die schöne musikalische Untermalung der Lesung übernahm Valentin Rauscher vom Anton-Bruckner-Gymnasium. Hausherr Pfarrer Hasso von Winning schaute zunächst auf einen Kaffee vorbei, blieb dann aber bis zum Ende der Lesung. Und Melanie Dullinger, die Verantwortliche für Kulturcafé und Kulturtafel, organisierte mit ihrem Team diesen ereignisreichen Nachmittag, wo die Gäste die realistische Beschreibung einer Flucht aus Syrien hörten.

Von den Gründen, die zu dieser Flucht führten, über den unbeschreiblich schwierigen Weg bis zur Ankunft in Deutschland. Für die Überfahrt auf dem Mittelmeer von der Türkei nach Griechenland hat die Familie ihren Schleppern 20 000 Euro bezahlt. Heute lebt die Familie mit ihren Kindern ohne Angst in Bogen. Von Anfang an war klar, dass dieses Literatur-Kunst-Projekt in einer Buchveröffentlichung münden sollte. Die Gedichte, Zeitzeugnisse und Stücke einer kraftvollen, lebendigen Literatur, durften nicht in Schubladen verschwinden. Linoldruck, Monotypie, Tuschezeichnung und Fotografie – geschaffen von jungen Deutschen und jungen Arabern unter der Leitung von Michael Witte – illustrieren dieses Buch. Hier noch ein Auszug aus dem Gedicht „Ein Kind“: „Es schweigt, aber seine Seele fragt: Warum darf ich nicht ein normales Leben genießen? Ich will nicht sterben! Ich will nicht ein Vogel im Paradies werden! Ich will leben! Warum muss ich vor Bomben fliehen? Ich will in das Meer des Lebens steigen! Ich will in die Schule gehen! Ich will lernen und arbeiten. Warum habe ich keine Familie mehr?“ Ein Fingerabdruck an der Wand der Zeit. Gedichte, die es wert sind, gelesen zu werden, und Bilder die dazu passen. 

wil (Straubinger Tagblatt, 20.2.2018)