Mär­chen­abend der Kon­tra­ste

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Zwei­ter Vor­le­sea­bend im Mär­chen­jahr

Auch der zweite Märchen-Abend unter dem Motto „Märchen vorgelesen und betrachtet“ im Rahmen des Mitterfelser Märchenjahrs fand in kleiner Runde statt, aber es wurde eifrig diskutiert.

Barbara Kern-Stoecker und Wolf Stoecker sind bekannt vom Straubinger „Traumtheater“. Barbara Kern-Stoecker hatte das Grimmsche Märchen „Frau Holle“ ausgesucht in der Nacherzählung des Gärtners, Anthropologen und Schamanen Wolf-Dieter Storl. Er setzt Frau Holle in Beziehung mit Mutter Natur, „der alten Göttin mit ihren Pflanzen“. In der Storl-Fassung gibt es das Holle-Reich, ein Lichtreich unter der Erde, wo Gold-Marie einer Kuh begegnet, der nährenden Urmutter, dem Brot im Backofen, Symbol von Schwangerschaft und Geburt, und dem Apfelbaum als Zeichen von Lebenskraft und Liebe.

Der Schnee, der beim Bettenmachen zur Erde fällt, steht bei Storl für stabiles Wetter, das Fruchtbarkeit verheißt. Wenn es nicht mehr schneit, wird das Wetter instabil und den Lebenden geht es schlecht. Während die Goldmarie Tod und Wiedergeburt der Seele erlebt, hat die Pechmarie kein Auge für die Schönheiten der Natur, ist faul und wird mit Pech bestraft. Im schwarzen Pech sieht Storl auch die Gefahr der Klimaerwärmung. Das alte Wissen um die Zusammenhänge einer ganzheitlichen Natur gehe immer mehr verloren, so das Fazit. Wolfgang Hammer, Initiator des Märchenjahres, wies darauf hin, dass es bei den Märchen der Brüder Grimm immer auch um Leben und Tod, um Initiation und Übergänge geht.

Als deutlichen Kontrast stellte Wolf Stoecker das Märchen aus Büchners Drama „Woyzeck“ vor, ein Märchen, das die Verlorenheit des einzelnen Menschen sprachlich umsetzt. Büchner hatte Konflikte mit den Etablierten und Herrschenden seiner Zeit und sprach mit dem Thema „Armut“ ein Hauptmotiv der Märchen an. Im Bühnenstück „Woyzeck“ erzählt die Großmutter den Enkeln von einem Kind, das erkennt, dass der Mond nur ein faules Stück und die Sonne nur eine welkende Sonnenblume ist, „und da hat es sich hingesetzt und geweint und war ganz allein“. Eine Geschichte ohne Happy End mit einer absolut trostlosen Sicht auf die Welt, so Stoecker.

Auch ein Protest Büchners gegen euphorische Zustände und den Glauben, alles Leid habe einen Sinn und ein Protest Büchners gegen das Militär und die Tretmühle, in die das Volk gezwungen war, erläuterte Hammer. Der nächste Vorleseabend findet am Dienstag, 3. Juli, um 19.30 Uhr, wieder im Haus des Gastes (Pröllerstraße 23) statt. Veranstalter sind die Marktgemeinde Mitterfels, der Bayerische Wald-Verein, Sektion Mitterfels, der Förderkreis Öffentliche Bücherei und der Verkehrs- und Kulturverein. Der Eintritt ist frei. (erö)

Bericht und Bild : erö (SR-Tagblatt, 28.6.2018)